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564 Psychische Studien. XXXII. Jahrg. 9. Heft. (September 1905.)
dass organisches Leben auf der Erde, als ihre Oberfläche
noch ein weissgltihendes Meer von geschmolzenem Gestein
war, nicht nur bestanden haben könne, sondern auch wahrscheinlich
bestanden habe. Er geht dann noch folgerichtig
weiter zu der Behauptung, dass ebenso auf anderen Planeten
, die sich noch jetzt in solchem Zustand befinden,
Leben vorhanden sein könne. Die Beweisführung Martin9 s
ist sehr interessant. Heute ist der wesentliche Bestandteil
aller organischen Körper der Kohlenstoff. Da nun der
Kohlenstoff von einer gewissen Temperatur an nicht als
solcher bestehen kann, so darf man auch nicht annehmen,
dass solche Lebewesen wie die jetzigen damals existiert
haben könnten. Martin hat nun aber nachgeforscht, ob
nicht ein anderes Element bei hoher Temperatur geeignet
wäre, den Kohlenstoff in solchen Verbindungen zu vertreten
, und will ein solches wirklich im Silicium, dem Grundstoff
der Kieselsäure, gefunden haben. Er vergleicht das
Verhalten des Silicium bei hoher Temperatur und das des
Kohlenstoffs bei gewöhnlicher Temperatur durch chemische
Untersuchungen und stellt eine auffallende Aehnlichkeit
zwischen beiden fest. Daraus schliesst er weiter, dass die
Urformen des Lebens nicht, wie das heutige Protoplasma,
aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff,
sondern aus Elementen mit weit höheren Atomgewichten
wie Silicium, Phosphor und Schwefel gebildet worden seien.
Solche Lebewesen könnten nach der Ansicht Martin'% in
der Schmclzglut der jungen Erde gewohnt haben und nach
dem Tode in dem feurigen Gesteinsfluss veisjhwunden sein,
wie heute ein abgestorbenes Weichtier im Meore verschwindet
, ohne eine Spur zu hinterlassen. Dennoch gibt
es viele kieselige Mineralien, z. B. den Asbest, deren eigentümlich
faserähnliche Struktur einer einstmals organischen
Natur zugeschrieben werden könnte. Ueberhaupt würde man
sich eine allmähliche Entwickelung des Kiesel- zum Kohlenzeitalter
vorzustellen haben, indem der Kohlenstoff immer
mehr in die Zusammensetzung der lebenden Materie eindrang,
das Silicium immer mehr herauskam und sich in mineralischer
, lebloser Form verfestigte. So würde es gekommen
sein, dass der Bestand des Tiebens auch bei immer weiter
fortschreitender Abkühlung der Erde möglich geblieben ist.
Vielleicht haben vorher noch andere Elemente das Silicium
vertreten, indem nur allmählich immer leichtere Grundstoffe
an die Reihe kamen, je kälter es auf der Erde wurde. Da
sich nun die Erde noch weiter abkühlt, so entsteht die
Frage: was wird in Zukunft aus dem Leben werden?
Können noch leichtere Stoffe eintreten? Können die Lebe-
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