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Maier: Der Fortschritt und die gegenwärtige Lage des Spiritismus. 611
heiten zu entziehen, um sie zu veranlassen, zum Bewusst-
sein ihrer selbst, ihrer verborgenen Kräfte zu kommen, um
sie zu zwingen, ihre glorreiche Bestimmung zu verwirklichen
. (Lang anhaltender Beifall.) Der Spiritismus
ist der Hoffnungsstrahl, der unsere immer dunkler
werdende Welt, unsere Erde voll Schmutz, Blut und Tränen
erleuchten sollte; er ist der fröhliche Sonnenstrahl, der die
Stuben des Elends aufsucht und sich in die traurigen
Wohnungen einschleicht, wo das Unglück wohnt und wo
das Leiden seufzt. Der Spiritismus ist der Aufruf des Unendlichen
an die arme, unter der Last der Materie erdrückte
Menschenseele; es sind jene Stimmen aus einem
höheren Jenseits, die das herrlichste, das mächtigste Ideal
proklamieren, das der Genius der Menschheit je geträumt
hat. Und bei dieecm Appell, bei diesen Stimmen richten
sich die unter der Last des Lebens gebeugten Stirnen
wieder auf, die Verzweifelten, die Schiffbrüchigen gewinnen
wieder Mut und in dem von Nebel verdüsterten Himmel
ihres Denkens sehen sie die Morgenröte schimmern, die
neue, bessere, friedlichere Zeiten für die Menschheit ankündigt
. Der Spiritismus ist die Gemeinschaft der
Seelen, die sich durch den endlosen Baum hin rufen
und Antwort geben. Verdanken wir es nicht ihm, dass wir
Nachrichten von denen erhalten, die als Lebensgefährten,
als Kampfgenossen hienieden an uns gefesselt waren? Wir
hielten sie für verloren und siehe da, wir fühlen uns von
neuem mit ihnen verbunden. Welche Freude zu wissen,
zu spüren, dass wir mit denen, die wir lieben, verbunden
sind, verbunden bleiben für die Jahrtausende, dass der
Tod nur eine Augentäuschung, dass jede
Trennung nur vorübergehend und scheinbar
ist. Wir fühlen uns verbunden nicht nur mit ihnen,
sondern mit allen Geistern, die das unermessliche Weltall
bevölkern. Das Universum wird so zu einer einzigen grossen
Familie. Und auf den Tausenden von Welten, die durch
den unendlichen Raum rollen, finden wir überall gleichgestimmte
Brüder und Schwestern, denen wir einst begegnen
und die wir eines Tages kennen lernen sollen,
überall Seelen, mit welchen wir unter der Aegide weiser,
billiger, unerforschlicher, ewiger Gesetze unseren Aufstieg
fortsetzen sollen.
So wird allmählich in uns jenes grosse Gefühl, jener
mächtige Instinkt zum kosmischen Leben, zur universellen
Solidarität erwachen und stark werden. So werden wir
uns mit den niedrigsten wie mit den höchsten Geistern verbunden
und den von uns bewunderten Heroen, Weisen und
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