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642 Psyehisobe Studien. XXXII. Jahrg. 11. Heft. (November 1905.)
jonischen Inseln und beim Passieren von Kreta hatte
meinen müden Geist erquickt, denn ich liebe die Elemente
der Natur und bin vollkommen seefest, ja eine ruhige Seefahrt
war mir stets langweilig; leider hatte aber Poseidon
meinen Diener, mit dem ich meine Kajüte teilte, nicht ungeschoren
gelassen.
Von Alexandria ging es nach Kairo (Grand Continental
Hötel), Luxor, Theben, Assuan und der Insel Phi-
lae, die schon zu Nubien gehört. Auf Elephantine, einer
Nilinsel gegenüber von Assuan, überraschte mich ein
Wüstensandsturm, denn man wandelt nicht ungestraft unter
Palmen. Mit Andacht stand ich in dem alten Theben —
heute ein von Wüstensand bedeckter Trümmerhaufen —
vor den Gräbern der Ramses und dem ifcmntm-Kolosse; und
die riesenhaften Tempelanlagen in Karnak zeigten mir
wieder, wie alles in dieser Welt, und wenn es für die Ewigkeit
gebaut zu sein scheint, dem Los der Vergänglichkeit
anheim fällt.*) Was ich alles in dem „Babylon" Kairo und
an den Pyramiden von Gizeh erlebte, gehört nicht hierher.
So ganz verschieden ist der Orient vom Occident und mein
Geist bedurfte so sehr der Abwechselung! Die oft sehr
strapaziösen Wüstenritte bei durchschnittlich 50° Celsius
im Februar befreiten mich aber auch von einem Rheuma,
das ich von Europa mitgebracht hatte. Auch einen lieben
Freund, österreichischen Rechtsanwalt und Dr. jur., lernte
ich auf dieser Reise kennen. Er war mein steter Begleiter
und wir gewannen uns lieb; ist es doch so selten, dass man
jemanden trifft, mit dem man'wirklich zusammenpasst.
Im März bestieg ich in Port Said den Norddeutschen
Lloyddampfer „Preussen", der aus China kam und mich in
fünf Tagen wieder über Kreta, Sizilien, Capri, Neapel nach
Genua brachte. In Genua erwarteten mich Nachrichten,
die mich nach London beriefen. Von tropischer Hitze kam
ich nun über die Schneegebirge des Mont Cenis nach Paris
und dann über den Kanal nach Dover—London. Ich besuchte
auch dort Medien, die mir durch den »Light" empfohlen
wurden, aber wieder ohne irgend welche nennenswerten
Resultate. Im Mai und Juni war ich ab und zu in
Deutschland, bis endlich am 8. Juni die Zeit herangekommen
war, die ich längst erwartete, wo ich Europa
*) Auf dem gewaltigen Totenfeld von SakMra, nahe dem alten
Memphis, an den Gräbern von Ti und Mera, bedauerte ich, nicht
ein gutes Trance- oder Sprechmedium bei mir zu haben, welches
Bedauern anhielt, als ich den heiligen Nil hinauf und herunter zu
SchilE fuhr und jene alten Kulturstätten Denderah, Edfu, Komombo,
Esneh passierte.
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