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654 Psyohisohe Studien, XXXII. Jahrg. 11. Heft. (November 1905.)
tut, ich meine, er sieht ihn — seine Augen sind manchmal
so sonderbar."
Obwohl Andersen den Aberglauben des Mädchens belächelte
, achtete er von jetzt ab doch mehr auf den Hund.
Eines Nachts nun fühlte er, wie etwas Kaltes seine Hand
berührte, und als er die Augen aufschlug, erblickte er beim
Schein des Vollmonds Amor, der neben seinem Bett stand
und ihm die Finger leckte. Er zitterte am ganzen Körper,
und als A. ihn beruhigend streichelte, stiess er ein klägliches
Geheul aus und warf sich, alle Viere von sich
streckend, zu Boden. „In dem Augenblick —" erzählte A.
später — „wusste ich ganz genau, dass mein Freund gestorben
sei; ich wusste es so sicher, dass ich am anderen
Tage meinen braunen Anzug mit einem schwarzen vertauschte
. Als ich am Morgen einen Bekannten traf, der
mich fragte, warum ich so betrübt aussähe, erwiderte ich:
„ „Heute Nacht, drei Minuten vor halb zwölf, ist Olaf LundSn
gestorben !M" Wie ich später erfuhr, stimmte die Zeit denn
auch genau.44 —
Im Kunstgewerbemuseum in Drontheim liegt eine schön
gearbeitete altmodische Taschenuhr, mit dunkelblauer Emailleverzierung
auf dem Zifierblatt, deren Zeiger sieben Minuten
nach acht zeigen. Sie gehörte seinerzeit dem schwedischen
Schriftsteller Ridderstadt, der sie von seiner Schwester geschenkt
erhalten. Als er einmal gelegentlich einer Fusstour
im nördlichen Schweden in einem Dorfwirtshaus einkehrte
und eben, es sich bequem machend, seine Sachen
ablegte, biss der Hund des Wirts ihn plötzlich in den Arm,
und als Ridderstadt erschrocken zurückwich, folgte er ihm
schweifwedelnd und ihn mit traurigen, wie um Verzeihung
bittenden Augen anblickend, Der Wirt des Gasthauses
aber, der dabei stand, trat heftig an den Tisch, auf dem
des Gastes Uhr lag und hielt den Zeiger an. „Bringen
Sie die Uhr vorläufig nicht wieder zum Gehen, Herr", sagte
er mit seltsamem Ton. Ä. überlief es kalt, und da ihm in
einer ihm selbst unverständlichen Kegung vor der Uhr
graute, so Hess er sie unberührt auf dem Tisch liegen!
Nach vier Tagen las er in der Zeitung, dass in Oalmar auf
öffentlichem Platz ein unbekannter Mann auf eine junge
Dame einen Pistolenschuss abgegeben und dieselbe schwer
verwundet habe. Die Beschreibung der letzteren und die
in der Notiz genannten Anfangsbuchstaben des Namens, sowie
der Ort Calmar wiesen auf seine Schwester hin und
tatsächlich erhielt er bald darauf von seinen Angehörigen
einen Brief, in dem seine Befürchtung bestätigt wurde. In
diesem war denn auch genau der Zeitpunkt des Attentats
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