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v. Seeland: Die Logik der materialistischen Lehre etc. 723
Andererseits jedoch müssen wir zugeben, dass jene
logischen Stützen, obzwar an sich unantastbar, doch in ihr er
Bedeutung für den Sieg über die Schmerzen
des Lebens sicher auch nicht zu überschätzen
sind. Leider reichen sie, wie die Erfahrung
lehrt, nur zu oft nicht aus!
Denn erstens sehen wir ja, wie viele ihrer überzeugen-
den Kraft nicht gewachsen sind und sich daher wie ein
leichtes Stück Holz vom strömenden Wasser von jenen oberflächlichen
Lehren und Tagesmeinungen fortschwemmen
lassen. Ferner bleiben selbst die Ueberzeugtesten in religiösen
Dingen jenem unerquicklichen Gefühle preisgegeben,
welches sich desjenigen bemächtigt, dem es, trotz seiner ihm
logisch vollkommen feststehenden Ueberzeugung von dem
Hier- oder Dortsein irgend eines Gegenstandes, beim Suchen
darnach dennoch nicht gelingen will, denselben irgendwo zu
erblicken oder mit Händen zu greifen. Es geht dem Menschen
auf diesem Gebiet ungefähr wie in Shakespeare'* Sommernachtstraum
dem lysander und dem Demetrius geschieht,
welche sich im Walde gegenseitig zum Zweikampf aufsuchend
, jedoch irregeleitet durch den sie foppenden Kobold,
der bald dem einen, bald dem anderen die Stimme des
Antagonisten in der Nähe vortäuscht, — schliesslich beide
todmüde zusammensinken und einschlafen. —
Darum hat der Mensch von jeher gesucht, sich das
Objekt oder die Objekte seiner religiösen Ueberzeugung
nahe zu bringen, d. h. zu dem, worauf sich seine Schlüsse
im allgemeinen bezogen, in tatsächliche Beziehung zu treten.
Dem Naturmenschen fällt dies nicht schwer, da er bei der
Leichtigkeit, mit welcher sich die Illusion seiner bemeistert,
sich bald überzeugt, dass z. B. diese oder jene Geister durch
Opfer, Zauberformeln usw. sich bestechen lassen, seinen Wünschen
zu willfahren, oder dass es möglich sei, unter gewissen
Bedingungen, besonders im Traume, Verstorbene wiederzusehen
, sich mit ihnen zu unterhalten u. s. f. Mit unwesentlichen
Abänderungen setzt sich dasselbe Schauspiel bis ins
Herz der am höchsten ausgebildeten Religionen fort. Denn
wenn hier auch an Geisterbesuche schon weniger geglaubt wird,
so bleibt dem Gläubigen wenigstens die „Wunder erwirkende
Praxis der Heiligenbilder, der geheiligten Reliquien, der
Seelenmessen, des Teufelsaustreibens" usw. Kurz der Mensch
glaubt auch hier, sich durch diese oder jene kirchlichen
Mittel die unsichtbar waltende Gottheit gnädiger stimmen
zu können. Die nüchternsten, von Vernunft und Kritik
mehr und mehr durchdrungenen Glaubensrichtungen streifen
sich nun jene Kundgebungen als kindische Zauberformeln
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