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Etz: Die Physiologie der Sinnesorgane und der Okkultismus. 729
Manschetten befestige! Auf einen solchen Unsinn braucht
man Sachkundigen gegenüber keine Antwort zu geben.
Solche Meinungen befestigen eher den Spiritismus und
stellen ihn auf ein sichereres Fundament, als dass sie ihm
etwa schadeten. Doch es ist überflüssig, näher auf solche
Dinge einzugehen; jede neue Entdeckung bricht sich langsam
, aber doch sicher Bahn, das bezeugt die ganze Geschichte
der Wissenschaften, und auch dem „alten Ladenhüter
Spiritismus" wird vielleicht in Bälde auch noch sein
Becht zuerkannt werden; mögen sich die Pseudogelehrten
noch so sehr sträuben, es nützt nichts, die Wahrheit dringt
doch durch. —
Ich will nun hier nachzuweisen versuchen, dass gerade
jene Wissenschaft, welche um die Mitte des 19. Jahrhunderts
den Ehrentitel „Mutter des Materialismus" erhielt, heutzutage
es ist, welche der übersinnlichen Weltanschauung
Tür und Tor öffnet. Es ist die Physiologie, die seit ihrem
Beformator, dem grossen deutschen Physiologen Johannes
von Müller, und dem grössten Naturforscher des 19. Jahrhunderts
, Hermann von Helmholtz, so erstaunliche Portschritte
in der Naturerkenntnis herbeiführte. Schon /. Müller zeigte
uns, dass jeder Versuch, eine genaue Erkenntnis der Aussen-
welt zu erlangen, erfolglos bleibt. Er stellte das Gesetz
von den spezifischen Sinnnessubstanzen auf, welches heute
allgemein anerkannt ist. Aber dies allein ist noch nicht
massgebend, sondern der besonders durch Helmholtz's bahnbrechende
Arbeiten über die Nervenphysiologie, Akustik
und Optik unwiderleglich geführte Nachweis vom trügerischen
Schein aller sinnlichen Wahrnehmungen, also die
Tatsache, dass wir mit unseren Sinnesorganen nicht nur
nicht das We s e n der Dinge, das „Ding an sich" erkennen
können, sondern dass wir mit unseren Sinneswerkzeugen
überhaupt nur einen verschwindend kleinen Teil der objektiven
Wirklichkeit zu erkennen vermögen.
Ob wir die Dinge, die wir wahrnehmen, auch richtig
erkennen oder nicht, ob die Welt bloss Vorstellung des erkennenden
Bewusstseins sei oder ob sie auch ausser unserem
subjektiven Bewusstsein genau so existiert, wie wir sie wahrnehmen
, das ist für uns hier Nebensache, denn hierüber
entscheidet in letzter Instanz die Philosophie. Nur soviel
will ich bemerken, dass man nicht gerade transszendentaler
Idealist zu sein braucht, um einer übersinnlichen Weltanschauung
zu huldigen, bezw. um den wirklichen Sachverhalt
richtig beurteilen zu können; man kann auch ein entschiedener
Bealist sein, nur muss man die Grenzen unserer
Erkenntnis stets im Auge behalten.
Psychische Stadien. Dezember 1905« 47
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