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758 Psyehteobe Studien. XXXII Jahrg. 12. Hett. (Dezember 1905.)
Berl. „Lokal-Anz.tf, der „Voss. Zeit/, der „Freien Deutschen Presse"
vom 7. u. 8. Nov., sowie anderen mir von verschiedenen Lesern freundlichst
zugeschickten Tagesbiättern erfuhr ich von dem eben jetzt in
Berlin verhandelten Skandalprozess Darnach ist der von R. als „entmündigter
Jurist" bezeichnete „Gentleman*, der ihn nach seiner Abreise
von Berlin aus Eifersucht unschuldig verleumdet habe, der
dortige Landgerichtsrat Ehmcke, welcher als früherer Landrichter in
den 90 er Jahren viel im Hause (Lennöstr. 8) des sehr reichen und
freigebigen Fabrikbesitzers und kgl. sächs. Geh. Kommerzienrats
v. Zimmermann verkehrte. Letzterer hatte 1889 im Alter von 69
Jahren sich mit der 29 jährigen geschiedenen Frau Rosa Schiemavn
geb. Scholz verheiratet, die ihm seit dem Tode seiner Ehefrau L J.
1888 die Wirtschaft geführt hatte und ihn dann bis zu seinem am
2. Juli 1901 erfolgten Tod liebevoll pflegte. Zum Testamentsvollstrecker
— die Erbschaft soll ca. 14 Millionen Mark betragen
haben — war Ehmcke ernannt, der gegen eine auffallend hohe und
ihm durch besonderen Vertrag zugesicherte Provision den Erbvertrag
zu Gunsten der zweiten Frau des Kommerzienrats entworfen
hatte. Bald nach dessen Tode beschuldigte die Witwe den Landgerichtsrat
, der bereits 70000 Maik ausbezahlt erhalten hatte, aber
noch weitere 210 000 Mark beanspruchte, zunächst in einem (angeblich
von ihrer „Stütze* Frl. Martha Schüler geschriebenen) anonymen
Brief vom 8. Aug 1901 an den Präsidenten des Kammergerichts und
kurz nachter in persönlich erstatteter Anzeige des Betrugs, der Bedrohung
, der Nötigung u. a. strafbarer Handlungen, was dessen
Suspendierung vom Amte, sowie eine noch schwebende Disziplinar-
Untersuchung zur Folge hatte. Ehmcke seinerseits behauptete, alle
diese Beschuldigungen beruhten auf gehässigen Machinationen des
„berüchtigten Magnetopathen Willy Reichel*, der, obschon er selbst
verheiratet war, mit Frau v. Zimmermann schon seit Jahren in intimere
Beziehungen getreten sei, was jedoch der von ihm gewarnte
Gatte absolut nicht glauben wollte. Zum Beweis ihrer Behauptung,
dass E. ihr, um weitere Summen von ihr zu erpressen und sie sich
willfährig zu machen, wiederholt turbulente Szenen bereitet habe,
berief sich Frau v. Z auf ihr (damals noch nicht ganz 18 Jahre altes)
Dienstmädchen Helene Gröseling, die dann auch bei ihrer eidesstattlichen
Vernehmung als Zeugin in der Disziplinaruntersuchung am
9. Nov. 1901 aussagte, sie habe während der Anwesenheit des E.
öfters laute Hilferufe ihrer Dienstherrin gehört, auch habe ihr
Frl Schüler erzählt, der Landrichter JE habe Frau v. Z. wiederholt
mit dem Revolver bedroht. Auch vor dem Amtsgericht Charlottenburg
beschwor sie am 23. Juni 1902 diese ihre Aussage, sowie ihre
weitere eidesstattliche Versicherung, von einem intimen Verhältnis
zwischen R. und Frau v. Z. nie etwas bemerkt zu haben, während
sie nachher in der Voruntersuchung und jetzt vor dem Schwurgericht
unumwunden zugab, diese falschen Aussagen auf Anstiften
der Frau v. Z. wider besseres Wissen gemacht zu haben.
Sie fügte bei, auch Prof. Reichel und Frl. Schüler hätten sie
fortgesetzt bedrängt, jene Angaben ihrer Herrin niederzuschreiben;
letztere habe ihr schon vor ihrer ersten Vernehmung mehrere
Kleider, sowie eine goldene Uhr mit Kette gegeben, ihr später noch
weitere Geschenke in Aussicht gestellt und auch durch Drohungen
auf sie eingewirkt. Neben ihr sass auf der Anklagebank der frühere
Diener des Zimmermann'sehen Hauses, Carl Voigt, der vom Nov. 1901
bis März 1902 R. auf seiner Eeise nach Aegypten begleitete und sich in
Genua von ihm trennte, um Frau v.Z. seine eigene Kückkehr und Adresse
mitzuteilen. Auch F. will von Frau v. Z., die einen geradezu un-
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