http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0014
8 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1906.)
wohin man den Kampfer auch streut, das Wasser gerät
nicht mehr in Bewegung. Aus der verbrauchten Menge Oel
und der Oberfläche, worüber es sich verbreitet, kann man
die Dichtigkeit der Oelschicht berechnen, Lord Raleigh
bewies experimentell, dass diese Dichtigkeit manchmal nicht
mehr als 0,000002 Millimeter betrug, während das Oel-
häutchen immer noch ein aneinander geschlossenes Ganzes
bildete. Auch hier war die äusserste Grenze der Teilbarkeit
des Stoffes nicht erreicht.
Sollen wir nun die Lehre von den Aetherschwingungen
und von den Atomen verwerfen, weil die äussersten Konsequenzen
, zü welchen diese Theorien führen, nicht experimentell
bewiesen sind ? Keineswegs, sie geben ja eine ganz
annehmbare Erklärung für viele gleichartige Erscheinungen
und, so lange keine neuen besseren Theorien die bestehen-
den ablösen, können wir an ihnen festhalten*) Jede wissenschaftliche
Hypothese ist nicht mehr als eine mit mehr oder
weniger Glück aufgeworfene, aber auf Tatsachen gegründete
Hypothese. Das letztere macht den charakteristischen
Unterschied zwischen der modernen Wissenschaft und der
alten scholastischen aus. Es ist nicht viel länger als ein
gutes Jahrhundert, dass man beim Studium der Naturwissenschaften
noch von gewissen Axiomen ausging, die man
als unantastbar betrachtete, auf denen, so gut oder so
schlecht als es ging, weiter gebaut wurde. Die Theorie
ging den Tatsachen vorher. Es sollten unter anderem alle
Stoffe aus vier Elementen aufgebaut sein, aus Luft, Wasser,
Feuer und Erde. Durch allerlei spitzfindige Raisonnements
wusste man die chemischen Erscheinungen auf eine Wechselwirkung
dieser Elemente zurückzuführen. Als aber Lavoisier
bewies, dass die Luft eine Mischung von Sauerstoff und
Wasserstoff ist, fiel das ganze, so scharfsinnig angelegte
Gebäude zusammen. Mancher Stubengelehrte jener Zeit
wurde durch diese Entdeckungen in Verlegenheit gebracht,
und zahlreich waren die Schriften, in welchen gegen den
Umsturz eines Systems protestiert wurde, dem man doch
viele glänzende Entdeckungen und manch noch glänzendere
Theorie zu verdanken hatte.
(Fortsetzung folgt.)
*) Vgl. hiezu unsere Fussnote zu „Eine Krisis in der Wissenschaft
« im Nov.-Heft v. J. S. 673. — Red.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0014