http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0036
26 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1906.)
dem Arsenal der deduktiven, metaphysischen Philosophie
entlehnt; sie stellen sich sogar zum Teil in scharfen Gegensatz
zur sachlichen Erforschung und zur wissenschaftlichen
Philosophie. Auch lehnen die dogmatischen
Vertreter solcher Offenbarungen meist ausdrücklich
die wissenschaftliche Behandlung ab. Sie werfen
es den wissenschaftlichen Autoritäten vor, dass sie nicht
diese Offenbarungen intuitiv annehmen oder dass sie nicht
versuchen, sie durch Forschung zu ergründen und sie zu
begründen.
Dies ist aber eine gänzliche Verkennung der Verhältnisse
. Wer etwas neues, eine neue Tatsache behauptet,
der muss selbst sie nachweisen; wer eine neue Ansicht
oder Theorie aufstellt, der hat sie zu begründen oder
annehmbar zu machen, wenn er will, dass andere sie
annehmen sollen. Sind aber die von ihm vorgebrachten
Gründe unzulänglich in ihren Voraussetzungen, so schwächt
dies die Position seiner Behauptung, ebenso wie ihre Vorbringung
als subjektive Offenbarung sie dem
grössten Misstrauen aussetzt.
Sehen wir uns kurz die Argumente an, die zur Rechtfertigung
der Palingenielehre angeführt werden:
Das Hauptargument ist dies, dass diese Lehre die
Weltordnung als gerecht erscheinen lässt trotz
alier Ungleichheiten der Anlagen des Charakters und des
Geistes, der Schicksale und der Lebenslagen, mit denen
und in denen die verschiedenen Menschen auf die Welt
kommen. Wenn die Palingenie stattfindet, so sind all diese
Verschiedenheiten nur Entwickelungsstufen, wie
sie i e d e r Einzelmensch im Laufe seiner vielen Erdenleben
durchmacht. Da die Menschen auf verschiedenen Stufen
der EntWickelung stehen, sind sie selbst und die Verhältnisse
, in denen sie auftreten, gleichzeitig verschieden
. Jeder aber hat die gleichen Vorteile, gleiche
Gelegenheiten, sowie jeder andere, im Verlaufe aller seiner
DabeiBSStüfen überhaupt. Ob er sie schneller oder langsamer
verwertet, das ist Sache seiner selbst gewollten Eigenart.
Ein jeder ist zu jeder Zeit genau das, wozu er sich selbst
soweit gemacht hat; und er ist in die Verhältnisse hineingeboren
, wie sie seiner Eigenart entsprechen, die er sich soweit
erworben hat. Er hat sich selbst in seine Schicksalslage
eingenistet. Jeder ist selbst seines eigenen Glückes
Schmied, sein eigener Urheber und sein eigener Richter.
Im Gesamtverlaufe der Entwickelung jedes Einzelnen
gleichen sich aber alle Unterschiede aus, nur zu verschiedener
Zeit. —
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0036