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102 Psychische Studien. XXXIIL Jahrg. 2. Hett. (Februar 1906.)
Wenn wir jedoch spiritistische Sitzungen, bei denen
neben Trancekundgebungen auch physikalische Erscheinungen
stattfinden, in Betracht nehmen, so können wir zwar von
den ersteren, wenn sie die eben angeführten Symptome zur
Schau tragen, in den meisten Fällen behaupten, sie rühren
ausschliesslich vom Medium her, keineswegs aber auch
immer von Erscheinungen physikalischer Natur (Abgüssen
in Grips oder Ton u. dgl.), die mit der peinlichsten Exaktheit
durchgeführt wurden.
Bei solchen Erscheinungen können wir doch offenbar
weder von einer Halluzinationshypothese sprechen, die in der
Regel grosse Effekte herbeiführt, nicht aber die gewonnenen
Eindrücke physisch festzuhalten vermag, noch von einer
Entwickelungsphase der medialen Psyche, die es z. B. durch
Willenssteigerung nach und nach zu einer Wunderleistung
des sogenannten Doppelgängers bringt, in ihren Wirkungen
jedoch durch Uebungen immer mehr zunimmt, keineswegs
aber, wie dies bei spiritistischen Erscheinungen beobachtet
wird, zeitweise versagt, nach einer längeren üebung an
Schwäche zunimmt und mit geringen Ausnahmen nach
einer gewissen Zeit schliesslich ein gänzliches Versagen
bewirkt. ,
Es bleibt somit für bestimmte Phänomene nur noch
die spiritistische Hypothese übrig, die uns eine Klärung
der hier aufgeworfenen Frage ermöglichen dürfte.
Vom dualistischen Standpunkte ausgehend, nehmen wir
den Bestand zweier Daseinsebenen — einer astralischen und
einer physischen — an, die sich notwendig nicht nur in
Bezug auf Beschaffenheit und Natur ihrer Insassen, sowie
auf deren Begriffsvermögen von einander wesentlich unterscheiden
, sondern auch für einander unwahrnehmbar sein
müssen. Die nicht mehr in die grobe, spröde Materie
unserer Erde gehüllte Astralebene wird eo ipso andere
Lebensbedingungen für die in dieser Welt lebenden Wesenheiten
und Stoffgebilde mit sich führen, als unsere Erde.
Die Grenzscheide dieser Daseinszustände dürfte im so-
genannten Tode, bezw. in der Geburt liegen. Aehnlich wie
wir uns, vom Schlafe zum Tagesbewusstsein erwacht, meist
nicht erinnern können, welche Eindrücke unser Wesenskern
empfunden, welcher Tätigkeit er ergeben war und, wenn wir
uns auch etwa eines kleinen Falles entsinnen, uns doch die
Gesamtheit entschlüpft, so dürfte dies, in höchster Potenz,
auch beim Wechsel der Daseinsebenen im Sterben, bezw.
Geborenwerden der Fall sein. Der schwachen Erinnerung
an einen kleinen Fall aus dem Traumleben dürften hier die
Erscheinungen des Somnambulismus entsprechen.
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