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Fuges: Unerhörte Pflanzen wunder.
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keit abgeht. „Eines der lebendigsten Organe des Pflanzenkörpers
ist die Wurzel oder, richtiger gesagt, sind jene
feinen, wurmartigen Wurzelenden, deren Spitzen Darwin
nicht umsonst mit einem Gehirn verglichen hat» Es ist
kaum zu glauben, was dieses Fädchen alles leistet. Vor
allem dreht es seine Spitze langsam, doch ständig im
Kreise und schraubt sich so förmlich in den Erdboden ein.
Jeder, der dies noch beobachtet hat, vergleicht es mit dem
Suchen nach Nahrung. Die Wurzeln tasten dadurch jedes
Erdkrümchen ihrer Umgebung ab. Und wie seltsam: von
dort, wo das Erdreich trocken ist, wendet sich die Wurzel
ab zu feuchteren Stellen, Stets wächst sie dorthin, wo mehr
Feuchtigkeit ist. Die Physiologie nennt dies Hygrotropis-
mus: Sinn für Wassernähe.
Aber die Wurzel wendet sich auch nach abwärts. Sie
hat auch Schwerkraftsempfindung (Geotropismus). Wie mit
winzigen Seilen wird dadurch jedes Gewächs tiefer in die
Erde hinabgezogen. Man untersuche mehrjährigen Wiesenklee
oder eine Möhre, bei der man es besonders gut sieht,
und man wird finden, dass sie jedes Jahr um etwa 5 cm
tiefer hinabgerät von dem Punkte, wo sie ursprünglich
keimte. Sie vermag dieses Hinabsinken in die Tiefe nur
durch stetes Wachstum des unterirdischen Stengels auszugleichen
, aber gerade das sichert ihr den festen Stand.
Die lebenden Wesen wissen alles zu ihrem Nutzen zu
drehen. Das ist eine Art Naturgesetz und die tiefste
Wurzel des menschlichen Egoismus.
Aber dieser Drang nach Erdtiefe und Wasser ist nicht
die einzige treibende Kraft der Wurzeln. Sie entwickeln
solche Energie, dass sie ein Blatt Papier durchbohren
können — für ein schwaches Wurzelspitzchen gewiss eine
Biesenleistung! Dabei welche Zweckmässigkeit der Bewegung
l Wo Hindernisse sind, wird ausgewichen; verletzt
sich die Wurzelspitze dennoch, so wächst sie rasch von der
gefahrdrohenden Umgebung weg. Und so ist unter dem
Waldboden stets eine unterirdische Schar solch geheimnisvoll
lebender und sich regender „vegetabiler Würmchen a
rastlos tätig, um das Leben von Hain und Flur zu sichern
und zu fördern."
Aber die Pflanzen können mehr als mit Wurzeln und
Ranken ihre wunderbar feinen Bewegungen ausführen. Sie
schlafen, wir wissen das alle und haben es tausendmal beobachtet
, wenn gegen Abend, wenn im Dunkel die Blüten
sich schliessen, die Blütenköpfchen sich senken und die
Pflanzen, welk und müde, zu schlafen scheinen. Wir kennen
auch die Tatsache allgemein, dass die Pflanzen mit ge-
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