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134 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 3. Heft. (März 1906.)
wenn sie ihren Sitz im Hirn haben, in den tiefer liegenden,
noch nicht gefühllos gewordenen Teilen entstehen. Allein
wenn mit dem Tieferwerden des Schlafes auch die Gefühllosigkeit
des Hirns zunimmt, wird es nicht unmöglich sein,
dass sie schliesslich ganz untätig werden und die Traum-
Vorstellungen ihren Sitz in die ausserhalb des Hirns gelegenen
Nervenbänder, das Sonnengeflecht, verlegen müssen.
Soviel ist sicher, dass, mit wieviel Wirklichkeit unsere
Träume uns auch vor dem Geiste stehen, wir beim Erwachen
doch wissen, dass es nur Träume gewesen sind,
weil sie in Beziehung auf die Zeitrechnung und ihren Inhalt
von unseren Wahrnehmungen im Wachzustand abweichen.
Jeder hat sich wohl einmal gewundert, dass er im
Traume in kurzer Zeit eine Eeihe von" Ereignissen zu erleben
glaubte, die in Wirklichkeit eine ansehnliche Zeit in
Anspruch genommen hätten. Es gibt zahlreiche Beispiele,
wo das Verhältnis zwischen dem wirklichen Verlauf und
der vermeintlichen Zeit festgestellt werden konnte. So erwachte
einer meiner Freunde einmal durch das Anklopfen
seines Dieners an der Türe; er rief: Ja, schlief aber sofort
wieder ein, worauf er träumte, er sei aufgestanden, habe
sich angekleidet und gewaschen und sei im Begriff, seinen
Rock anzuziehen, als er den Diener nochmals klopfen hörte
und, jetzt erwachend, aufs neue „ja« rief. Man stelle sich
nun seine Ueberraschung vor, als er sich noch im Bett
liegen fand, Er stand sofort auf. Alsbald kam sein Diener
herein, den er fragte, wie oft er geklopft habe. „Einmal,
Herr," war die Antwort. „Wieviel Schläge hast du dabei
getan?" „Brei, Herr.* „Habe ich dann sofort geantwortet
?" fragte mein Freund weiter. „Sie haben zweimal
hintereinander „ja" gerufen." „Wie spät war es denn?"
„Gerade sechs Uhr. Sie sind sofort aufgestanden," fügte
der Diener mit einiger Verwunderung in seinem Blicke bei,
denn der Herr war gewöhnlich nicht so flink.
Daraus ergibt sich, mit welcher Geschwindigkeit unsere
Traumphantasie wirken kann. Unser Gefühl für die Zeit
ist denn auch eingebildet und steht in nahem Zusammenhange
mit der Geschwindigkeit der Wahrnehmung unserer
Sinneswerkzeuge. Wir haben es uns zur Gewohnheit gemacht
, alle Ereignisse nach Stunden und Minuten zu berechnen
und wissen annähernd f wie viel Zeit jede unserer
Handlungen gedauert hat. Wir messen die Zeit mit dem
Massstabe ab, den uns die Erfahrung an die Hand gegeben
hat.
Wenn sich jemand mit einer brennenden Zigarre in der
Hand langsam auf- und abbewegt, sehen wir das Feuer
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