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156 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 8. Heft. (März 1906.)
voyant und Krystall - Seherin. Letzteres interessierte mich
besonders. Palmisten und Olairvoyants, die es hier zu Lande
in jeder Stadt mehrere gibt, hatte ich zu Dutzenden besucht
und dreiviertel als Ignoranten und Schwindler befunden
, die aus wettlosen Büchern ihre Weisheit geschöpft
hatten; aber jeder Besuch zahlt 1 Dollar und diese Leute
verdienen oft massenhaft Geld, denn der sonst „smarte"
Amerikaner ist abergläubisch: Les extremes se touchent.
Geheimrat Goldberger hat ganz recht, wenn er
Amerika als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten
(,,The Land of Unlimited Possibilities") bezeichnete. Ueb-
rigens muss hier jedes Medium 20 Dollars monatlich „Li-
eense" zahlen und in San Francisco sogar 30 Dollars. Wie
es in anderen Staaten Amerikas ist, weiss ich nicht, aber
nur so können diese Medien ihr Geschäft — denn das ist
es hier — ausführen. In Deutschland stehen sie immer
mit einem Fusse im Zuchthaus.
In Frankreich hat ja 1895*) das „Comite zur Verteidigung
der professionellen und wissenschaftlichen Inter-
ressen des Spiritismus" eine ausführliche Eingabe an die
Deputierten - Kammer gerichtet, worin um Abschaffung des
§ 7 des Artikels 479 des „Code pönal« vom 20. Febr 1810,
der untersagt die Zukunft vorberzusagen u. dergl., und um
Einführung eines Gewerbescheins zur offiziellen Billigung
dieser ehrenhaften Profession gebeten wird. Was daraus
geworden ist, weiss ich allerdings nicht. —
Eine Krystall - Seherin war mir etwas Neues; aus der
okkultistischen Literatur kannte ich wohl das Vorhandensein
solcher,**) aber ich hatte bis dato noch keine eigenen
Erfahrungen auf diesem Gebiet. Mrs. M. lngalls — so ist
ihr richtiger Name — legte einen flachen Krystall-Würfel
mit Oktaeder („ein chinesischer," so sagte sie) in die Mitte
meiner linken Hand, die fast ganz damit bedeckt wurde,
und erzählte mir dann tatsächlich fast mein ganzes Leben.
Ich war nicht wenig überrascht. Sie sah, so erklärte sie
mir dieses Schauen, symbolisch in diesem Würfel Bilder
kommen und gehen, deren Deutung Sache ihrer Erfahrung
sei. Zunächst erblickte sie medizinische Instrumente und
*) ff?lty Reichel: „Ein französischer Vorschlag, dem Somnambulismus
und den ihm verwandten Gebieten zu ihrem öffentlichen
Rechte zu verhelfen" in: „Der Heilmagnetismus, seine Beziehung
zum Somnambulismus, Hypnotismus" (Berlin, Karl Siegismund),
3. Aufl. 1896, S. 96.
**) Dr. du PrePs glänzende Feder hat ja in seinem spannenden
Eoman „Das Kreuz am Ferner" (Stuttgart, Cotta 1891, 3. Aufl. 1905)
diese Phase des Okkultismus höchst anregend beschrieben.
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