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Handrich: Im Bereiche der Seherin May Pepper*
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von der stattlichen Frau zur Antwort*) die bereits wieder
einen anderen Brief zur Hand nahm, dem eine kostbare,
vermittelst einem Seidenband festgehaltene Blumenspende
beilag. Den Manen als Opfergabe wie weiland in Delphi
und Meroe! —
Ebenso vollkommen wie ich von der oft erprobten
Echtheit ultranormalen Sehens und Hörens von Seiten
dieses Mediums überzeugt bin, bin ich freilich auch auf
Grund langjähriger Erfahrung auf diesem Gebiete zu der
Ueberzeugung gelangt, dass keine Phase des Spiritismus
frei von Betrug ist. Ganz besonders breit macht sich
dieser in derjenigen der Materialisation ganzer Gebilde,
die, wo es sich um solche handelt, als Darsteller die Medien
selber oder deren Helfershelfer haben, die des Verdienstes,
teilweise wohl auch des Vergnügens halber die Eollen
„wiederverkörperter Verstorbener*' mit mehr oder weniger
Geschick zur Geltung bringen. Der Grund, warum diesem
Unfuge immer neue Stätten eröffnet werden, liegt in dem
Umstände, weil viele der regelmässigen Kunden (der
„Habitues" männlichen und weiblichen Geschlechts) den
Betrug nicht bloss ahnen, sondern davon selbst überzeugt
sind. Nun aber suchen und finden viele dieser sinnlich
veranlangten und ausgereiften Besucher eine Art von
krankhaftem Genuss darin, sich von ihren „Seligen" (?) oder
deren Vertretern liebkosen zu lassen, wobei das Dunkel —
als wesentliche Bedingung zum Zustandekommen echter
Phänomene — das übrige dabei tut. [NB.i — Rod.]
Die Inhaber solcher Etablissements suchen Schutz
unter dem Deckmantel der gesetzlichen Freiheit mit Hinsicht
auf Ausübung religiöser Gebräuche und huldigen dabei
dem Prinzip: „Die Welt will ja betrogen sein, ergo betrügen
wir sie!*' Wenn aber eine verehrliche Redaktion
im Hinblick auf solche Vorfälle zu einem überhaupt abfälligen
Urteil über amerikanischen Spiritismus gelangt, wie
dies neulich wieder aus der Fussnote auf 8. 14 des Januarhefts
ersichtlich war, so erlaube ich mir dagegen zu bemerken
, dass gerade in den reichsten Weingegenden
Deutschlands und anderer Länder bekanntlich auch am
*) Diese Antwort beweist allerdings eine mit grosser Schlauheit
und schlagfertigem Witz verbundene Divinationsgabe. Die
nächstliegende und wichtigste Frage aber, wer, ausser der Seherin
selbst, sich davon überzeugte, ob das von der beauftragten Dame geöffnete
(und wohl auch gelesene?) Papier wirklich diesen Inhalt
hatte, und ob die betreffenden Personen nicht Helfershelfer des Mediums
waren, wird leider in obigem Bericht nicht einmal gestellt,
geschweige beantwortet! Red.
Payoiusohe Studien. März 1906. 12
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