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194 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 4. Heft. (April 1906.)
Inhalt unserer Träume studieren. Sind es eitle Phantastereien
, die durch eine Eeihe unvollkommen wahrgenommener
Sinneseindrticke ins Leben gerufen worden
sind oder offenbaren sie Beweise einer Willensäusserung ?
Es ist bekannt, dass die Traumvorstellung der Wirklichkeit
so nahe kommen kann, dass sie den Träumer zu
Handlungen anregt, sich in Sprechen, Singen, Lachen,
Weinen oder in dem Bewegen von Armen und Beinen
äussert. Diese Handlungen stehen nun manchmal mit Dingen
in Zusammenhang, welche den Träumer im Wachzustand
beschäftigt hielten. Die Fälle sind zahlreich, wo Träumer
eine Aufgabe, die sie wachend erfüllte oder belästigte, im
Schlafe ausführen. So erwähnt Ciauder einen Schüler, welcher
die lateinischen Themata, welche ihm sein Lehrer aufgab,
zuweilen am Morgen ganz fertig in seiner eigenen Handschrift
geschrieben vorfand. Er hatte seine Arbeit offenbar,
während er schlief, ausgeführt*) Erzählungen von Personen,
welche so schlafend Aufsätze oder Gedichte schrieben, sind
keineswegs selten.**) Heinings erzählt von einem jungen
Geistlichen, der im Schlafe aufstand, um seine Predigt zu
schreiben. Hatte er eine Seite vollgeschrieben, so las er
sie laut durch; fand er etwas, das ihm bedenklich schien,
so verbesserte er es. Um sich zu vergewissere, ob er dabei
von seinen Augen auch Gebrauch mache, hielt man ihm
einen Schirm vor, so dass er das Papier überhaupt nicht *
seilen konnte, aber er fuhr mit Schreiben fort, ohne etwas
zu merken. Dann nahm man das Papier 1 auf welches er
geschrieben hatte, weg und legte an dessen Stelle ein
anderes. Allein er entdeckte es, weil das letztere nicht so
gross war als das erste. Darauf bot man ihm ein ganz
gleiches Papier an, welches er für das seinige hielt, und
nun schrieb er die Verbesserungen an die Stelle, wo sie auf
dem zuerst genannten Papier hätten stehen müssen.
Das Schreiben war offenbar nichts anderes als eine in
Handlungen umgesetzte Traumvorstellung. Aber es war
durchaus nicht nötig, die phantasierten Worte geschrieben
zu sehen; der Träumer stellte sie sich geschrieben vor und
das genügte ihm, die Verbesserungen an denjenigen Stellen
anzubringen, wo sie hingehörten. Der Traum wurde durch
die damit übereinstimmenden Handlungen zur Wirklichkeit.
Allein für den Träumer würde sie auch ohne dies für
Wirklichkeit angesehen worden sein. Die Erinnerung daran
war indessen bei dem Erwachen verschwunden.
*) Clauder, „Miscellanious Curiosities,1, 1681.
**) Riehe u. a. Frau d'Esperance, ,,Froni the Bbadowland," 5. Kap.
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