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Nagel: Die bibl. Wunderberichte in okkultistischer Beleuchtung. 233
Trotzdem aber stehen sie zu den neutestamentlichen
Wundern wieder etwa in demselben Verhältnis wie ein
Götzenbild der Südseeinsulaner zum Zeus von Olympia.
Vor der einzig dastehenden Verfluchung des Feigenbaumes
, den Totenerweckungen und den nach der Grablegung
eingetretenen wunderbaren Ereignissen werden nur
Heilungswunder berichtet. Für die meisten davon liegen
zahlreiche Analogien vor, und mit Rücksicht hierauf hat
denn auch schon Ad. Barnack in seinen von Zustimmung
und Widerspruch begleiteten Vorlesungen über das Wesen
des Christentums im allgemeinen die Möglichkeit wunderbarer
Heilungen zugegeben.
Deutlicher äussert sich hierüber W. Boussei, der Verfasser
des „Jesus" betitelten Doppelheftes aus der Reihe
der „Religionsgeschiehtlichen Volksbücher". Er meint, Jesus
könne ein Arzt genannt werden, der sich ausschliesslich
religiöser geistiger Mittel bedient. Sein Heilverfahren sei
ein psychisches gewesen; er habe die Kranken geheilt durch
sein unerschütterliches Vertrauen auf seinen himmlischen
Vater und die in ihm wirksame göttliche Kraft, indem er
in den Kranken dasselbe absolute Vertrauen zu sich, als dem
Gottgesandten, zu erwecken gewusst habe. Analogien hierzu
fänden sich B. in den nicht wegzuleugnenden überraschenden
Heilungen bei den Wallfahrten in Lourdes. Die moderne
Wissenschaft spreche hier von den merkwürdigen Vorgängen
der Suggestion, Autosuggestion (wofür ein
deutlicher Fall in Mark. 5, 25 vorliege), Hypnose. In
allen Fällen wirke das psychischeHeil verfahren
um so wunderbarer, je grösser das Vertrauen des Kranken
zu dem Heilenden sei. Wo Jesus keinen Glauben gefunden,
habe er auch nicht heilen könne«. (Mark. 6, 5 ff.) Ferner
hat Bousset richtig erkannt, dass gerade die „Heilung von
Dämonischen, d. h. Irrsinnigen, als ganz besondere Klasse
unter den Wundertaten hervorgehoben wird". Nach seiner
Meinung lassen sich sogar die verschiedenen Formen des
Irrsinns wie Tobsucht (Mark. 5, 2), Lethargie (Matth. 12,22),
Epilepsie (Mark. 9, 17 ff.) deutlich erkennen. Er schliesst:
„Es bleiben tatsächlich nur einige wenige
Erzählungen, in denen ein absolut wunderbares
, schlechthin unbegreifliches und
von allen Analogien verlassenes Geschehen
vorliegt. Diese wenigen Erzählungen haben
wir dann als Wucherungen der Legende
auszuscheiden/1
Wer in der okkultistischen Literatur bewandert ist,
weiss, dass darin längst ganz dieselben Gedanken über die
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