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234 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 4. Heft. (April 1906.)
Wunder zu finden sind. Es kann daraus nocb mancher
charakteristische Zug zur Ergänzung der Boussefschen Ausführungen
beigebracht werden. Warum befiehlt z. ß. Jesus
einem geheilten Kranken, er solle niemand etwas über seine
Heilung sagen? Nun, auch heute fürchtet jeder psychisch
Heilende, dass die von ihm dem Kranken suggerierten Gedankenreihen
durch unwissende und täppische Bekannte
oder Verwandte unwirksam gemacht, die zwecks Heilung
auf einen bestimmten Punkt gelenkte Willenskraft zum
Schaden des Patienten gebrochen werde. Daher wird auch
er denselben Befehl wie Jesus erteilen oder durch geeignete
Belehrung der Umgebung des Kranken schädlichen Einflüssen
vorzubeugen suchen.
Der Okkultist wird jedoch dem Schlusssatze Bousset's
nicht unbedingt zustimmen. Denn er kennt und hält für
hinreichend beglaubigt auch solche Tatsachen, die recht
wohl als Analogien zu den anscheinend absolut wunderbaren
Geschehnissen im Neuen Testament gelten dürfen.
Es lässt sich z. B. die Frage aufwerfen: Sind die Erscheinungen
Jesu im Kreise der Jünger und vor Saul bei
Damaskus als blosse subjektive oder als objektive Visionen
aufzufassen? In der ebenfalls zu den „religionsgeschichtlichen
Volksbüchern" gehörenden Schrift über Paulus sagt
der Verfasser, Prof. Wredei „Jesus kann nicht leibhaftig vor
seinem Feinde gestanden haben. Auch die eigenen Vorstellungen
des Paulus schliessen das aus. Denn Paulus kennt
keine Auferstehung des Fleisches; er schreibt dem Auferstandenen
einen „geistigen", immateriellen, für die äusseren
Sinne also nicht wahrnehmbaren Leib zu. Daher muss
es sich bei Paulus um eine Vision handeln, die auf ihn mit
der vollen Kraft einer objektiven Tatsache gewirkt hat.*4
In einer Anmerkung fügt Wreäe hinzu, einige Theologen
hätten von objektiven Visionen gesprochen, aber das sei
kein wissenschaftlicher Begriff. Der Okkultist nimmt im
Gegensatz hierzu das Vorkommen objektiver Visionen
als durchaus begründet an. Er kann sich dabei
vor allem auf das Zeugnis eines der bedeutendsten und
weltbekannten Gelehrten berufen, auf Sir William Crookes.
Dieser in jüngster Zeit recht oft genannte und trotz seines
Alters noch jugendfrische Physiker hat vor etwa dreissig
Jahren als rüstiger Mann und bis dahin ohne die geringste
Vorliebe für okkulte Probleme unter allen erdenkbaren
Vorsichtsmassregeln und in seinem eigenen Laboratorium
festgestellt, dass in Gegenwart des fünfzehnjährigen Mediums
Florence Cook sich eine sogenannte Materialisation
einstellte, eine vollkommen ausgebildete Frauengestalt, die
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