http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0258
238 Psyohisohe Studien. XXXIII. Jahrg. 4. Heft. (April 1906.)
sation, das zeitweilige Verschwinden beider Beine, durch
eine entsprechende Untersuchung festgestellt hat. Auch
Richet hat beobachtet, dass der linke, allen Augenzeugen
des Phänomens sichtbare Arm des Mediums zum Teil versehwunden
war, da der Aermel der Bluse schlaff und faltig
erschien, als wäre er mit einer Nadel*) an dem neben ihr
stehenden Sessel festgesteckt worden. Er nimmt daher
ebenfalls an, der Arm habe durch Dema^erialisierung die
Stoffe zur Bildung des Phantoms hergeben müssen. Hiernach
Hesse sich also auch gegen eine Dematerialisation des
Leibes Jesu theoretisch nicht mehr allzuviel einwenden,
wenn auch bisher die Dematerialisationen immer nur in
Gegenwart sog. Medien beobachtet worden sind.
Von den Wunderheilungen können also alle, die durch
SuggestionsWirkung sich erklären lassen, auch von dem
skeptischsten Rationalisten getrost als möglich bezeichnet
werden. Es handelt sich dabei im allgemeinen um Krankheiten
des Nervensystems. Auffallend ist es, dass
nach den biblischen Berichten die Besessenheit und
verwandte Erscheinungen wider Erwarten ziemlich weit verbreitet
gewesen zu sein scheinen. Auch Lähmungen und
Blindheit können bisweilen ihre Ursache in einer Erkrankung
des Nervensystems haben. Die Mutter einer bekannten
Dichterin, seit neun Jahren völlig gelähmt, vermochte infolge
einer einzigen, durch einen Berliner Arzt erteilten
Suggestion sich vom Sessel zu erheben und auf eigenen
Füssen zu stehen und zu wandeln. Diese Tatsache steht
durchaus fest. Durch Berührung des Trierer Rockes ist vor
Jahren ein blindes Mädchen sehend geworden. In einer
Zeitschrift war damals die aktenmässige Darstellung des
Falles veröffentlicht worden, und trotz gewissenhaftester und
vorsichtigster Prüfung des Materials habe ich gegen die
Zuverlässigkeit des Berichtes nichts einzuwenden gefunden.
Eine Auferweckung vom Tode wird bekanntlich schon
im Alten Testamente erzählt. Elia rief durch sein Gebet
und — was vielleicht das wichtigste war — durch gewisse
Manipulationen den erst kürzlich angeblich gestorbenen
Sohn der Witwe von Zarpat ins Leben zurück. Unter der
Voraussetzung, dass noch ein Lebensfünkchen in dem vermeintlich
Toten glomm, dürfte man die Möglichkeit der
Wiederbelebung nicht ohne weiteres bestreiten. Bei der
Auferweckung der Tochter des Jairus könnte man an ähnliche
Verhältnisse denken. Für die beiden anderen Berichte
(Jüngling zu Nain und Lazarus) fehlt natürlich jede
*) Verdächtig! Vergl. die Bemerkung von Oberst Peter 8. 206,
sub 5). — Red.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0258