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Oehler: Die Gehirntätigkeiten. 243
lieh von mir nur zum Vergleiche theoretisch angenommen,
obwohl ich kaum daran zweifle, dass diese Annahme sehr
wahrscheinlich ist. —
Den Vorgang des Denkens stelle ich mir nun in
folgender Weise vor: Je mehr ein Gehirn Phosphoreszenzbilder
, resp. Sinneseindrücke besitzt, umso mehr ist Stoff
für die Gedankenarbeit vorhanden. Man stelle
sich zunächst ein Gehirn vor, welches überhaupt keine
Sinneseindrücke empfangen hat, so dass noch vollständige
Rahe in den Gebieten der Sinnes- und der Denksphären
herrscht. Plötzlich erscheint ein Eindruck, es bildet sich
in der betr. Zellenpartie der Gehirnrinde ein Phosphoreszenzbildchen
; dasselbe wird schliesslich nochmals empfangen,
so dass durch den wiederholten Eindruck dasselbe fest aufgenommen
ist; jetzt erscheint plötzlich noch ein Eindruck,
welcher wiederum in der ihm zugehörigen Zellenpartie, wohin
er geleitet wurde, ein Phosphoreszenzbildchen erzeugt.
Doch wie die photographische Aufnahme auf der Phosphoreszenzplatte
nicht ruht, sondern fortwährend durch
Ausstrahlung tätig ist, so sind auch diese Phosphoreszenzbildchen
der Sinnessphären nicht ruhig, sondern strahlen
aus und zwar durch die feinen Nervenfäden zu den Denkherden
; hier findet nun eine ununterbrochene Tätigkeit der
Bildchen statt, indem durch Aneinanderreihen und Anordnen
von Bildchen zusammenhängende grössere Bilder
entstehen, sog. Gedankenassoziationen, Diesen Vorgang bezeichne
ich mit „ Denkena und zwar im niederen, einfachsten
Sinne. —
Das Denken wird selbstverständlich um so komplizierter
, je mehr das Gehirn Eindrücke in sich aufgenommen
hat. Die erzeugten Gedanken besitzen als geistigen Inhalt
diejenigen Gedankengebilde, welche der Tätigkeit und dem
jeweiligen Interesse des betr. Individuums entsprechen. Die
verschiedenen Denkherde können ferner gleichfalls wieder
durch Ausstrahlung der Phosphoreszenzbilder unter einander
in Tätigkeit treten, indem sich ganze Gedankenverbindungen
(Begriffe) vergleichen und anordnen, um daraus
Urteile zu bilden und Schlüsse zu ziehen. —
Bis jetzt haben wir jedoch noch eine gleichsam tote
Sache vor uns und zwar nur die Bildung von zunächst
kleinen Phosphoreszenzbildchen in den Sinnessphären, welche
sich dann zu grösseren Phosphoreszenzbildern vereinigen,
und zwar in den Denkherden; es fehlt aber noch die Erklärung
des Willens und des Bewusstseins.
Zunächst werde ich nun versuchen, eine Erklärung
über die Punktion des Willens abzugeben. Die-
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