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Oehler: Die Gehirntätigkeiten.
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phoreszenzeindrücken und drittens die wichtigste von allen:
durch die zentrale Verbindung mit den Sinnes- und Denkherden
können gleiche Phosphoreszenzbilder und Eindrücke
sich begegnen, so dass dadurch die Erinnerung und das Be-
wusstwerden ,Bewusstsein entsteht. Denn solange der
Wille nach einem Sinneseindrucke sucht, ist der gesuchte
Eindruck noch nicht bewusst, sondern wird es erst, wenn
er gefunden wurde und dadurch eine Vereinigung, ein In-
einanderstrahlen des Bildes vom Willensorgan mit dem
gleichen Bilde vom Sinnes- oder Denkherd stattfindet. Die
unabhängige, selbständige Tätigkeit des Willens ist nur eine
scheinbare, denn im Organ des Willens selbst wird nur
derjenige Gedanke zur Ausführung gelangen, welcher am
stärksten vorherrscht; denn der vorherrschende Phosphoreszenzkraft
-Gedanke verdrängt den schwächeren Gedanken. —
In welcher Weise das Organ des Willens auf die Muskulatur
einwirkt, dazu soll folgendes zur Erklärung dienen.
Es ist jedem Menschen bekannt, dass alle bewussten Bewegungen
der Körperteile und der Muskulatur erst gelernt
werden müssen; ich weise nur auf die einfachsten Bewegungen
hin, als das Laufen, Sprechen, Schwimmen, Tanzen,
Turnen usw. Auch diese Eigenschaften des Menschen bedürfen
also eines Gedächtnisses, welches die ihm zugeführten
Eindrücke aufbewahrt, gleich den Sinneseindrücken in den
Sinnessphären; dieses Organ aber für Aeusserungseindrücke
der Muskulatur ist nicht im Grossgehirn zu suchen, sondern
im Kleingehirn und da dieses gleichfalls mit dem Organ
des Willens in Verbindung steht, so ergibt sich von selbst
daraus die Erklärung über den Einfluss des Willens auf
die Muskulatur, indem die Tätigkeit des Willens in Verbindung
mit dem Kleingehirn in analoger Weise vor sich
gehen muss, wie seine Tätigkeit mit den Sinnes- und Denkherden
. — Den weiteren Forschungen der Vertreter der
exakten Wissenschaften, vorzüglich den Physiologen und
Anatomen, muss es ja überlassen bleiben, uns noch grössere
Klarheit in Bezug auf die Organisation und den Bau des
Gehirns zu verschaffen. —
Der Schlaf des Menschen erklärt sich auf folgende
Weise: sobald die Tätigkeit der Sinnesorgane aufhört, wird
auch den Denkherden, sowie dem Organ des Willens immer
weniger und weniger Stoff zugeführt, so dass die Tätigkeit
sowohl in der Grosshirnrinde, als auch im Zentrum des Gehirns
nachlässt und schliesslich durch das Aufhören der
beiderseitigen Arbeit, das Bewusstsein, die Erinnerung erlischt
. Das Gehirn ruht. — Die dabei zuweilen noch eintretende
Funktion des Gehirns als Traum erklärt sich
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