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248 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 4. Heft. (April 1906.)
aber auf unbewusste oder unterbewusste psychische Vorgänge
bei den an der Sitzung teilnehmenden Personen zurückgeführt
worden, zuerst wohl vom „Philosophen des Un-
bewussten*, Ed. v. Hartmann. Wären hierdurch diejenigen
spiritistischen Phänomene, welche als unzweifelhafte Tatsachen
zugegeben werden müssen uod im folgenden durch
Beispiele erläutert werden, in „natürlicher" Weise erklärt,
so sind doch jene unbewussten psychischen Fähigkeiten und
Vorgänge, welche zur Erklärung herangezogen werden, selbst
so überraschender Art und so paradox gegenüber den landläufigen
und selbst in der Wissenschaft herrschenden Vorstellungen
über unser Seelenleben, dass man sich von der
weiteren Erforschung derselben sehr wohl eine Vertiefung
unserer psychologischen Erkenntnis versprechen darf,
ähnlich wie dies seinerzeit durch die Erforschung der hypnotischen
und Suggestionsvorgänge geschehen ist. In einem
jüngst erschienenen Werke von Dr. R. Sennig*) wird mit
logischer Schärfe der Nachweis geführt, dass gerade in den
bestuntersuchten Fällen nicht die Geisterhypothese, sondern
nur die Annahme gewisser unterbewusster psychischer Vorgänge
in Betracht kommen kann, wobei allerdings auf sehr
seltsame und meist unbekannt bleibende Fähigkeiten unseres
Innern ein Schlaglicht fällt. Zum Beweis werden aus dem
sehr interessanten Buche zwei Beispiele namhaft gemacht,
von welchen das erste eine von dem Genfer Professor der
Psychologie Flournoy mit einem der bedeutendsten Trance-
Medien, Helene Smith im Februar und März 1899 abgehaltene
Sitzung betrifft, wo die in Trance befindliche Helene dreimal
die Vision eines Dörfchens hatte, dessen Lage sie beschrieb
und das den Namen Chessenaz führte, der allen
Anwesenden, wie ihr selbst, in wachem Zustande unbekannt
war, während Flournoy durch unermüdliche Nachforschungen
schliesslich dazu kam, den Nachweis zu führen, dass Helene
in der Nähe von Chessenaz Verwandte besass, die sie offenbar
vor langen Jahren einmal besucht haben musste; denn
als sie im somnambulen Zustand in jene Gegend geführt
wurde, wurde diese von ihr wieder erkannt, und sie erinnerte
sich, hier einmal gewesen zu sein. Mit diesem Nachweis
verlor aber der Fall seinen ganzen wunderbaren Charakter
; denn die Hypothese, dass Helene bei ihrem Aufenthalt
in der Nähe von Chessenaz in irgend welchen alten
Schriftstücken auch die charakteristischen Namenszüge des
dortigen Pfarrers Burnier und des Syndikus Chaumontet in
*) Der moderne Spuk- und Geisterglaube. Eine Kritik und
Erklärung der spiritistischen Phänomene* von Dr. Richard Hennig.
Geh. 4 Mk., geb. 5 Mk.
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