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Seiling: Die Kardinalfrage der Menschheit 295
dass seine Leugner als Ketzer verfolgt wurden. Welch
grosse Rolle der Glaube an das Weiterleben und an die
Beeinflussung der irdischen Geschicke durch die Abgeschiedenen
bei den Japanern spielt, ist in dem mit Russland
geführten Kriege wiederholt zutage getreten.
Dass das Sinnen und Trachten der Aegypter fast mehr auf
den Tod, als auf das Leben gerichtet war, ist bekannt. In
Indien tritt uns der Unsterblichkeitsgedanke entgegen als
Glaube an die Seelen Wanderung und an das Nirwana, den
Zustand seliger Ruhe nach den Kämpfen und Leiden der
irdischen Lebensläufe. Lehrt ferner Zarathustra die endliche
Versöhnung der Geister mit Gofct, so kommt die persische
Anschauung wohl auch in den Worten zum Ausdruck,
die der sterbende Gyrus (nach Xenophon, Cyropädie VIII)
an seine Söhne richtete: „Ich habe mich niemals überzeugen
können, dass der Geist in dem sterblichen Leibe
lebe, nach seinem Ausscheiden aber dahinsterbe, noch auch,
dass er bewusstlos werde, wenn er aus dem bewusstlosen
Leibe entweiche; sondern dass er erst dann, wenn er von
aller Gemeinschaft mit dem Leibe befreit, rein und fleckenlos
geworden ist, zum vollen ßewusstsein komme . . . .
Nichts seht ihr so ähnlich dem Tode, als den Schlaf; im
Schlafe aber gibt der Geist seine göttliche Wesenheit am
meisten kund; denn wenn er frei und ausgespannt ist, erkennt
er vieles Künftige voraus, woraus man entnehmen
kann, in welchem Zustand er sich nach gänzlicher Befreiung
von den Banden des Leibes befinden wird.a
Bei den Griechen finden sich die Vorstellungei vom
Bades und vom Elysion. Und dass die Römer ursprünglich an
keineVernichtung durch den Tod glaubten, bezeugt Cicero im
ersten Buche seiner Tusculanischen Unterredungen mit den
Worten: „Unseren Ahnen war nichts so sehr als der
Grundsatz angeboren, dass das Gefühl im Tode sich erhalte
und dass der Mensch beim Austritte aus diesem
Leben nicht in der Weise vernichtet werde, dass er ganz
und gar untergehe." Weiterhin waren auch den Germanen
die Gedanken des Fortlebens und der gerechten Vergeltung
für die Guten und Bösen nicht fremd. Endlich ist
es nicht ganz richtig, dass die alten Juden, wie namentlich
von Schopenhauer behauptet wird, gar keinerlei Unsterbhch-
keitslehre besessen haben sollen. Schon /. Huber hat in
seiner „Idee der Unsterblichkeit'* darauf aufmerksam gemacht
, dass in der aus praktischen Gründen erfolgten Betonung
der diesseitigen Vergeltung weder eine Leugnung, noch
eine Unkenntnis des Unsterblichkeitsglaubens liege. Uebrigens
kehrt selbst in der ältesten hebräischen Literatur der Aus-
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