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Mikulfiö: A. R. Wallace und der Spiritismus.
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Reinen [im grossen Ganzen und Allgemeinen! — Red.], ist
uns da alles klar und deutlich, so kann die Entstehung der
Arten selbst unmöglich ein Rätsel sein. [Im Einzelnen
und im besonderen Fall doch wohl! — Red.j
Der Verfasser zeigt überdies selbst, dass es mit der
Entwicklungstheorie nicht so bestellt ist; denn auf S. 99
gibt er zu, dass man bei dieser Theorie geteilter Ansicht
ist: die eine Ansicht nämlich, die mit 1) bezeichnet ist,
will in die Entwicklungsreihe auch den Menschen mit
Körper und Geist einbeziehen, so dass auch der menschliche
Geist lediglich als eine Weiterentwicklung, bezw. als
ein Produkt der Seele des Tieres erscheint; die andere mit
2) bezeichnete Ansicht lässt das Entwicklungsgesetz beim
Menschen Halt machen und zieht den Menschen höchstens
nach seinem Körper in die Entwicklungsreihe hinein, während
man den menschlichen Geist nicht unter dieses natürliche
Gesetz fallen lässt. Dieser Ansicht schliesst sich
auch A. R. Wallace an.
Verf. ist offenbar Anhänger der Ansicht sub 1), denn
er bezeichnet die Ansicht sub 2) als eine solche, die der
Vernunft entgegengesetzt und mit einer einheitlichen Weltanschauung
unvereinbar sei; ferner behauptet er, dass das
Tier ebensogut eine Seele habe, wie der Mensch, wobei
man nur einen quantitativen Unterschied des Grades zugeben
kann, während nach der 2) Ansicht ein qualitativer
Wesensunterschied konstatiert wird.
Aber schon auf Seite 100 durchbricht Verf. die Ansicht
1) mit der Frage: „Kann denn nicht der Geist des
Tieres quantitativ [NB. offenbares Schreib- oder Druckversehen
st. qualitativ! — Red.] derselbe sein, wie der
Geist des Menschen, nur ist er einer höheren Fortentwicklung
nicht fähig, wie es der menschliche Geist ist?" Wenn
nämlich der Geist des Tieres quantitativ [sollte heissen:
qualitativ] gleich ist dem des Menschen, er aber trotzdem
eine höhere Entwicklung nicht erreichen kann, so ist offenbar
die Entwicklungsreihe schon unterbrochen und man
kann den Geist des Menschen nicht als blosse weitere
Entwicklung oder als Produkt der Tierseele ansehen, mithin
ist die Ansicht 1) nicht richtig.
Ist denn aber wirklich die Ansicht 2) so stark der
Vernunft widersprechend? Die Entwicklung im Pflanzen-
und Tierreiche geschieht durch Entstehung neuer Arten,
wie es bei Annahme der „generatio aequivoca" anders nicht
sein kann. Geschieht die Entwicklung in der Entstehung
von neuen Arten auch beim Menschen? Nein, hier gibt es
keine neuen Menschenarten [bis jetzt! — Red.]; im Men-
Psychische Studien. Mai 1906. 20
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