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Frendenberg: Etwas vom Unterbewusstsein. 341
ziehenden, auf- und schliesslich absteigenden Wellenkette
unsere Aufmerksamkeit auf sich lenken. In Gestalt von
periodischen Hebungen und Senkungen beeinflusst ein Un-
bewusstes bald als Steigerung und Förderung, bald als
Hemmung und Lähmung all unser Tun und Lassen. Sind
beim menschlichen Weibe die einzelnen Ringe dieser Lebenskette
durch die sog. Periode als in durchschnittlich 28-
tägiger Schwingung sich abspielend gekennzeichnet, so durchzieht
dieselbe Reihe von Ebbe und Flut auch das Leben
des Mannes, jedoch in einem wesentlich kürzeren, etwa 23-
tägigen Turnus, wobei persönliche und hereditäre Einflüsse
bei beiden Geschlechtern gewisse, für das Individuum konstante
Abweichungen und Schwankangen bedingen. Diese
periodische Wellenbewegung aber — diese grossartige Konzeption
lag wenigstens andeutungsweise schon in der genannten
Erstlingsarbeit Fliest enthalten — verdankt ihre Entstehung
nicht irdischen Momenten, sondern kosmischen Einflüssen. —
Gegenwärtig ist der Name „Fliess" in aller Mund durch
den leidigen Prioritätsstreit Weinninger - Freud - Fliess, den
Gedanken der zweigeschlechtlichen Anlage des menschlichen
Organismus betreffend. Hierdurch ist das eine Gute wenigstens
herbeigeführt worden, dass die ganze Fülle der im
Stillen von Fliess geleisteten Arbeit ans Tageslicht gebracht
und auch die grosse Oeffentlichkeit mit dem Reichtum der
Forschungsergebnisse des grossen Gelehrten bekannt gemacht
worden ist. Er selbst hat nunmehr das Resultat
seiner reifen Studien in einem bedeutenden Werke niedergelegt
und das früher Angedeutete weiter begründet und
ausgebaut.*)
Gewiss Hesse sich hier mit Recht sagen: dass alle Vorgänge
des Lebens im Makrokosmos sowohl, als im Mikrokosmos
in der Form einer gesetzmässigen, sich im Un-
bewussten abspielenden, Periodizität verlaufen, das haben
schon Paracelsus, die Alchymisten und Rosenkreuzer ge-
wusst. Ganz ohne Zweifel trifft die Wahrheit des Gesagten
zu. Aber ich möchte auch diese Gelegenheit benützen,
wieder einmal den fundamentalen Unterschied zu betonen,
der zwischen dem mehr intuitiven Wissen der Alten und
den Konstatierungen unserer modernen exakten Wissenschaft
besteht. Und langsam, langsam nähert sich die
letztere in ihren Feststellungen und beweiskräftig gestützten
Anschauungen mehr und mehr so mancher von unseren, die
Wissenschaft mehr metaphysisch als physisch betreibenden
Altvordern aus innerster Ueberzeugung aufgestellten „Wahr-
*) Siehe den nachfolgenden Artikel!
— Red.
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