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Maier: Das Gesetz des Zufalls und die Metempsychose. 357
scheidene Studie über das Gesetz der Kausalität darin und
einen Versuch, die Lehre des Meisters durch die Macht des
Gesetzes vom Zufall zu erweitern, liefern wolle. Er kann
aber nicht umhin, auf den Widerspruch aufmerksam zu
machen, der in der Definition des „Dinges an sieh"
zwischen der „reinen" und der „praktischen Vernunft44 besteht
. Dort ist das „Ding an sich" lediglich ein Postulat,
das nur den Charakter einer reinen Beschränkung hat, hier
wird es ein aktives Prinzip, das eine ganze Welt freier
Sittlichkeit hervorbringt, die Welt der Noumene, die hinter
den in Eaum und Zeit sich abspielenden Phänomenen steht.
Nach des Verf. Ansicht sind die Ranfsehen Distinktionen
nicht begründet; das Problem des „Dinges an sieh" — d. h.
das Problem einerseits des Unendlichen, andererseits der
Existenz Gottes — ist tatsächlich nur eines, das des Absoluten
, zu dessen Grundcharakter die „kontradiktorische
Funktion" gehört.
Verf., der als konsequenter und beharrlicher Denker
durch das indifferente Verhalten der offiziellen Schulphilosophen
gegenüber seinen, nun seit 15 Jahren verfochtenen
Ideen sich nicht entmutigen lässt, analysiert nun die Erscheinungen
des Universums, ihre Aufeinanderfolge, sowie
die Geschichte der Wissenschaften, und beweist, dass es
nirgends ein absolutes Gesetz im Sinne einer für alle
Zeiten giltigen Wahrheit gibt, indem die momentan angenommenen
Hypothesen und Systeme immer wieder durch
neu beobachtete, zufällig entdeckte Erfahrungstatsachen
umgestossen werden. Der Zufall selbst hat
jedoch ein mathematisches Gesetz, dessen Formulierung die
Berechnung der Möglichkeiten gestattet und das je nach
der grösseren oder kleineren Anzahl der für das fragliche
Problem ursprünglich empirisch gegebenen Tatsachen mehr
oder weniger komplex erscheint. Das Problem des mathematischen
Unendlichen als Attribut des „Absoluten4* ermöglicht
die Verallgemeinerung des Gesetzes vom Zufall und
seine Ausdehnung auf das ethische Gebiet der moralischen
Freiheit, bezw. der göttlichen Vorsehung. —
Leider verbietet uns der beschränkte Rahmen dieser
Besprechung, auf den besonders für Mathematiker sehr
interessanten Abschnitt über die Prinzipien der Differentialrechnung
näher einzugehen, worin er mit Carnot zu der in
seinem merkwürdigen Buch „BMexions sur la mStaphysi-
que du calcul infinitesimal" erörterten Streitfrage der Philosophie
der Mathematik: ob die Infinitesimal - Analyse eine
nur approximative (annähernde) oder eine exakte (genaue)
Methode ist, im letzteren Sinne Stellung nimmt. Das
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