http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0388
368 Psychische Studien. XXX III. Jahrg. 6. Heft (Juni 1906.)
Träume sind Lügen." Das wird auch im allgemeinen richtig
sein. Man weiss z. B., dass man besonders lebhaft träumt,
wenn man mit erregten Nerven zu Bette geht, oder dass
irgend ein körperlicher Heiz die sonderbarsten und eindrucksvollsten
Traum gebilde hervorzurufen imstande ist.
Etwa ein Druck im Magen erweckt die Vorstellung, ein
Felsblock falle über einen, oder eine Berührung des kalten
Bettrandes mit den Füssen — man wate durch Schnee,
oder ein Krachen im Wandschrank — eine Pistole sei losgeschossen
worden. Solche Träume sind wirklich weiter
nichts als Wasserblasen, die aus der Seele aufsteigen und
schnell wieder zergehen, und also nicht wert, dass man sie
nur jemand erzählt.
Aber nun gibt es auch Träume, hinter denen etwas
Geheimnisvolles, Uebernatürliches steckt,
wie uns ja schon aus der Bibel zahlreiche Beispiele bekannt
sind, wo Gott den Menschen durch Träume Offenbarungen
über die Zukunft habe zukommen lassen.
Denken wir nur an die Träume Josephh oder des Königs
Nebukadnezar, die dieser durch den Propheten Daniel sich
auslegen lässt, oder daran, wie der Engel des Herrn
Joseph, dem Pflegevater Jesu, im Traume erscheint, und
ihm Weisung gibt, mit seiner Familie nach Aegypten-
land zu entfliehen. Solche Mahnungen, Warnungen,
Enthüllungen, Vorausahnungen sind bis heute
schon manchen Menschen im Traumgesicht der Nacht zu
teil geworden; und einige der merkwürdigsten Fälle hievon
seien hier mitgeteilt.
In der Nacht vor dem 31. Oktober 1517 soll Kurfürst
Friedrich der Weise von Sachsen folgenden Traum gehabt
und den Morgen darauf in lebhaftester Erregung seinem
Bruder, Herzog Johann, erzählt haben; Es sei ihm von
Gott Befehl zugegangen, er solle einem Mönche, ehrbaren
Angesichts und St. Pauli natürlichem Sohn, gestatten, etwas
an seine Schlosskapelle zu Wittenberg anzuschreiben, es
werde ihn hernach nicht gereuen. Er tat es, und da fing
selbiger Mönch an, eine solch grobe Schrift an die Kirehen-
tür zu setzen, dass sie der Kurfürst in Schweinitz, wo er
sich damals befand, vier Meilen entfernt von Wittenberg,
noch lesen konnte. Der Mönch führte aber eine solch lange
Feder, dass sie von Wittenberg bis nach Eom reichte und
Quellen, sowie sonstige Daten fehlen — vermissen lässt, erschien
sie uns doch zur Vermehrung des geschichtlichen Materials durch
einzelne, sehr glaubhaft erzählte und in ihren charakteristischen
Einzelheiten besonders instruktive Fälle wertvoll und daher des Abdrucks
würdig zu sein. — B e d.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0388