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404 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1906.)
merkenswert, dass Calderon — weil eben der Dichter „der
Dinge geheimste Saat" unmittelbar erschaut — seinen „Don
Quixote" vor dem Tode zur Vernunft kommen lässt. Und
der Titane unter den Dichtern gibt dem Gedanken des gesteigerten
geistigen Lebens in „Richard IL" (2. Akt) Ausdruck
mit den Worten :
O sagt man doch, dass Zungen Sterbender
Wie tiefe Harmonie Gehör erzwingeD ;
Wo Worte selten, haben sie Gewicht :
Denn Wahrheit atmet, wer schwer atmend spricht,
Nicht der, ans welchem Lust und Jugend scWtzt.
\Der wird gehört, der bald nun schweigen muss;
Beachtet wird das Leben mehr zuletzt.
Goethe wiederum verkündet: „Am Ende des Lebens
gehen dem gefassten Geiste Gedanken auf, bisher undenkbare
; sie sind wie selige Dämonen, die sich auf den Gipleln
der Vergangenheit glänzend niederlassen" („Maximen und
Reflexionen"). Bisweilen stellt sich bei Sterbenden auch
die Gabe der Weissagung ein. Eine Menge Belege für
diese seit den ältesten Zeiten bekannte und sogar vom
nüchternen Aristoteles zugestandene Tatsache findet man in
du Prefu „Monistischer Seelenlehre" (Kap. XII3 über den
Tod).
Die Ohnmacht der Materialisten gegen alle diese Erscheinungen
bringt Ilaeckel u. a. dadurch ebenso vorzüglich
wie ungerne zum Ausdruck, dass er schon das blosse Phänomen
des Bewusstseins das ,.Zentralmysterium" nennt. Es
ist eben ganz unmöglich, einzusehen, wie gewisse Schwingungen
materieller Teilchen etwas diesen so durchaus Unähnliches
, durch keinerlei Brücke mit ihnen Verbindbares sollten
hervorbringen können. Hier gilt vielmehr dasWort Schillers:
„Und der erhabene Fremdling, der Gedanke,
Sprang aus dem staunenden Uehirn.*
Trotz der in mancher Hinsicht gewiss bestehenden Abhängigkeit
der Seele vom Körper darf deren Existenz um
so weniger bezweifelt werden, als auch das leibliche
Leben von der Seele beeinflusst wird. Der Leib
würde ohne die Seele bald zu Grunde gehen, wenn diese
nicht für seine Ernährung, Kleidung und Unterkunft sorgen
würde; der Wille setzt den Leib in Bewegung; Gemütsaffekte
wirken verstimmend auf leibliche Organe; und blosse
Vorstellungen können tief eingreifende, ja vernichtende
Wirkung auf den Leib haben.*) Die Tatsachen der Sug-
*) Der jüngste derartige, bekannt gewordene Fall hat sich im
Nov. 1904 in Rußland zugetragen. Auf der Eisenbahnstation Kras-
nojarsk wurde ein Wagenreiniger aus Versehen in einen Kühlwagen
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