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406 Psychische Studien, XXXIII. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1906.)
Seele nicht nach alter dualistischer Anschauung der Gast,
sondern der Architekt des Körpers ist. Die Lehre, dass
die Seele nicht nur denkt, sondern auch organisierend wirkt
(wie oben an einem Suggestions - Beispiel gezeigt) und sich
den Körper selbst geschaffen hat, ist namentlich von du Prel
fest begründet worden, der seine Beweise den verschiedensten
Gebieten, als der Aesthetik, Technik, dem Somnambulismus
und Hypnotismus entnommen. Intuitiv ist der
gleiche Gedanke auch schon von Goethe urd Schiller erfasst
worden. Goethe spricht vom „Geisterzeugten" („Bei Betrachtung
von Schillert Schädel") und sagt in der „Harzreise
im Winter'* mit Bezug auf Plessing wörtlich, dass „die
Neugier rege ward, welchen Körper sich ein so wunderlicher
Geist gebildet habe." In nWallenstein" wiederum
heisst es: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut,"
Damit ist der psychophysische Parallelismus abgelehnt, da
er Geistiges und Körperliches als zwei einander entsprechende
und parallel gehende Faktoren der Wirklichkeit
betrachtet, die einander kausal nicht beeinflussen können.*)
Einer der wichtigsten Gesichtspunkte für die Selbst-
ständigkeit des seelischen Prinzips ist die trotz des Stoffwechsels
ununterbrochene Selbstgewissheit, das Be-
wusstsein der sich stets als die selbe fühlenden Persönlichkeit
. Diese Tatsache bespricht Schopenhauer in seinem
Hauptwerke, indem er auf einen besonders schlagenden Umstand
also aufmerksam macht: „Worauf beruht die Identität
der Person? — Nicht auf der Materie des Leibes: sie
ist nach wenigen Jahren eine andere. Nicht auf der Form
derselben: sie ändert sich im ganzen und in allen Teilen
bis auf den Ausdruck des Blickes, an welchem man daher
auch nach vielen Jahren einen Menschen noch erkennt,
welcher beweist, dass trotz aller Veränderungen, die an ihm
die Zeit hervorbringt, doch etwas davon in ihm völlig unberührt
bleibt; es ist eben dieses, woran wir, auch nach
den längsten Zwischenräumen, ihn wiedererkennen und den
Ehemaligen unversehrt wiederfinden, ebenso auch uns
selbst: denn wenn man auch noch so alt wird, man fühlt
*) Eine grandliche Widerlegung dieser, von vielen so hartnäckig
fest gehaltenen Lehre, die statt der Psyche konsequenterweise
nur einen Mechanismus von gesetzmässig zusammenhängenden
Psychosen (psychischen Urelementen) kennen darf, findet man in L.
Bnsse's „Geist und Körper, Seele und Leib* (Leipzig 190S). Daselbst
sind auch die verschiedenen Varietäten des Materialismus
viel ausführlicher, als es hier geschehen konnte, ad absurdum geführt
.
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