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420 Psychische Studien. XXXHI. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1906.)
haben sich auch in den Zeiten der Verfolgung durch nichts
irre machen lassen und haben in ihrem Kreise gewirkt, so
gut sie es verstanden. So sind die bedeutendsten unserer
deutschen Medien aus diesen Kreisen hervorgegangen. Wer
kann ermessen, wie viel Segen von solch einfachen Leuten
ausgegangen ist, wie mancher ihnen eine neue und glücklichere
Auffassung des Lebens verdankt?
Auch viele, die später Diener der Wissenschaft geworden
sind und auf diesem Gebiete etwas leisteten, haben
die erste Anregung in diesen Kreisen empfangen, die sich
nicht hermetisch und vornehm gegen die Aussenwelt ab-
schliesseD, sondern jeden, der sich, um Aufklärung bittend,
an sie wendet, mit Rat und Tat, oft in der uneigennützigsten
Weise unterstützen.
Den Offenbarungsspiritisten im allgemeinen wird nun
gerade daraus ein Vorwurf gemacht, dass sie den Spiritismus
ohne Vorbehalt in die breite Oeffentlichkeit tragen und
durch das Ungewöhnliche und Ueberraschende seiner Erscheinungen
manchen, der geistig auf der Grenze zwischen
abnorm und normal steht, auf deutsch gesagt zum Ueber-
schnappen bringen, indem er das, was möglich ist, und das,
was unmöglich ist, nicht mehr auseinander zu halten weiss.
Die Erfahrung hat denjenigen, die diesen Vorwurf erheben
, leider vielfach Recht gegeben, Ich glaube jedoch,
dass diese Fälle häufig aus Abneigung gegen den Spiritismus
aufgebauscht und übertrieben werden.
Der Segen, den der Spiritismus für sehr viele in sich
schlie8st, hat diesen vereinzelten Fällen gegenüber entschieden
das Uebergewicht. Sollen wir die hohe Ethik des
Spiritismus der grossen Masse und darin vielen, die ihrer
dringend bedürfen, aus Rücksicht auf einige Uebersehwäng-
liche vorenthalten, ähnlich wie es in den Mysterien der
Alten geschah? Ich denke: Nein! Mit der Zeit und mit
dem besseren Bekantwerden der spiritistischen Phänomene
und ihrer naturgesetzlichen Grundlagen wird man sich daran
gewöhnen, auch über diese Dinge ziemlich kühl zu
denken, und solche unangenehme Fälle werden dann immer
seltener werden. Der Spiritismus muss eben auch seine
Kinderkrankheiten überstehen.
Darnach aber, wie viele Menschen durch die absprechende
materialistisch gesinnte Wissenschaft und Philosophie
auf Abwege geraten und unglücklich werden, fragt
niemand, wenn es gilt, dem unbequemen Spiritismus etwas
am Zeuge zu flicken.
Bedingung ist nur, dass der Spiritismus vernünftig vorgetragen
wird, dass die Fäden, die ihn mit unserem bis-
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