http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0444
422 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 7. Hett. (Juli 1906.)
rufen, die Rätsel des vergangenen und des zukünftigen
individuellen Lebens zu lösen.
Bei den scharfsinnigen und von gründlichem Studium
zeugenden Ausführungen des Verl über Vererbung und
Befruchtung näher zu verweilen, fehlt uns leider der Raum.
Letztere Erscheinung fasst er nicht als ein Phänomen von
Zusammensetzung („combinaison") und eigentlicher Bildung
(„Constitution"), sondern von Erregung („exeit&tion") auf, durch
welche ein aus der äusseren Welt gekommener präexistenter
Körperkeim, der alle in seinen aufeinander folgenden früheren
Existenzen durch fortgesetzte Uebung erworbenen Eindrücke
und Eigentümlichkeiten bewahrt hat, in die für seine
Weiterentwickelung passenden Bedingungen der Umgebung
gesetzt wird. Jedes Stoffteilchen ist verhältnismässig organisiert
; es strebt nach höherer Gestaltung und wird früher
oder später ein günstiges „Milieu" zur Entwickelung finden,
das, wenn man nach dem „Gesetz des Zufalls" das tätige
Prinzip mit der Gesamtheit der möglichen Charaktere ausstattet
, als das Zusammenwirken („ensemble") der Agentien
bezeichnet werden kann, welche die in potentia im Wesen
enthaltenen Eigenschaften anregt. — In einem offenen Brief
an seinen in Paris gestorbenen Freund Dr. /. Dupri aus
Lyon verbreitet sich Verf. weiter über die molekulare
Uebertragung von Fähigkeiten und Talenten, bezw. den durch
Wiederholung der Arbeit herbeigeführten Fortschritt, und
bezeichnet den sichtbaren oder anatomischen Körper der
Organismen mit den modernen Physiologen als „Sorna", im
Gegensatz zu dem unsichtbaren und unvergänglichen tätigen
Prinzip, bezw. dem organisierenden Körper, von dem
jener sich ableitet. Der Tod des Sorna ist lediglich die
Veränderung der Umgebung, die letzterer zu seiner Entfaltung
und zur Fortsetzung seiner Tätigkeit braucht.
Dieses biologische Gesetz des Wechsels ist nur
eine Anwendung des grossen Prinzips der Manifestation der
Möglichkeiten nach dem Gesetz des Zufalls, wornach die
Lebewesen alle denkbaren Existenzformen
durchmachen müssen.
Einen starken Beweis zu Gunsten der Lehre vom Fortleben
der Individualität, bezw. für die Metempsychose erblickt
Verf. vor allem in den telepathischen Phänomenen,
speziell den halluzinatorischen Anmeldungen Sterbender oder
auch Verstorbener, indem er annimmt, dass in allen solchen
Fällen die „conditio sine qua non" der Vision des Perzipienten
eine vom Agenten, also im letzteren Fall von dem noch fortwirkenden
tätigen Prinzip durchgemachte Krisis ist. Er
erörtert alle einschlägigen Fragen in dem Kapitel von den
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0444