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424 Psyohisohe Studien. XXXIIi. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1906.)
stehender Erlebnisse symbolisch andeuten. Dahin gehört
als bekanntestes, dem Verf. sogar von seinem früheren
Physikprofessor aus vielfacher eigener Erfahrung bestätigtes
Beispiel das Träumen vom Ausfallen eines Zahnes, das für
den Betreffenden in einem Zwischenraum von höchstens
6 Monaten den Verlust eines nahen Verwandten bedeute.
Jede einzelne Person müsste demnach streng genommen
auf Grund eigener fortgesetzter Beobachtungen sich ihr
eigenes Traumbuch zusammenstellen. Als „symptomatischen"
Traum nennt Verf. das Schauen der roten Farbe an irgend
einem Gegenstand, was für ihn seit etwa einem Dutzend
Jahren eine bevorstehende Krankheit oder auch ein leichtes
Unwohlsein bedeutet. Etwa drei Tage vor dem Eintreten
des Schmerzes sieht er im Traume bald eine rote Wolke,
bald die Auslage eines Fleischers oder auch einen aufgehängten
Stoff, der von einer unbestimmten Farbe in Rot
übergeht. Er erklärt sich diese von ihm genau beobachtete
Erscheinung damit, dass sein Organismus, wenn er von
dieser Farbe träumt, schon einen Krankheitskeim in sich
hat, so dass das Gleichgewicht, nach welchem alle Dinge
laut des Gesetzes vom Zufall streben, bereits gestört ist.
Das Studium der Träume ist über die ersten lastenden
Versuche noch nicht weit hinausgekommen. Wenn gewisse
Physiologen den Traum als eine Manifestation der durch
Abwesenheit oder Betäubung der Willenskraft, bezw. der
Aufmerksamkeit toll gewordenen Einbildungskraft auffassen,
wobei irgend eine äussere Erregung, z. B. ein kaum merkbarer
krankhafter Zustand, den sonderbarsten Traum hervorrufen
kann, so sind doch sog. Wahrträume zu allen
Zeiten und von so glaubwürdigen Personen bezeugt, dass
es mehr als unbesonnen wäre, jede andere, also eventuell
eine übersinnliche Verursachung im besonderen Falle aus-
zuschliessen. Es ist heutzutage so gut wie bewiesen, dass
die Erscheinungen der sichtbaren Welt die Folge von Vorgängen
in einer unsichtbaren Welt höherer Ordnung sind;
alle modernen Theorien über das Licht, die Wärme, die
Elektrizität, den physiologischen Magnetismus usw. bewegen
sich in dieser Kichtung und sprechen für diese Annahme.
Mit unseren Sinnen im Wachzustand und mit unseren Instrumenten
der Analyse können wir — darüber sind alle
Sachkundigen einig — nur einen verhältnismässig geringen
Teil des Mechanismus der Natur erkennen, der sozusagen
eine Gruppe des Eäderwerks ist, dessen Räder ihren Antrieb
wieder von anderen Rädern erhalten, die wegen ihrer
Schnelligkeit und Feinheit unserer Wahrnehmung entgehen
.
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