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446 Psychische Studien. XXX1IL Jahrg. 7. Heft. (Juli 1906.)
muss also — in Uebereinstimmung mit der Lehre Spinoza9* — das
„All-Eine" sein; die Kerne der Ichwesen sind darin als sekundäre
Nebenteile enthalten. Aus der Urtätigkeit des Ich entstehen die
Veränderungen innerhalb des All-Einen. Diese Tätigkeit äussert
sich entweder als Gleichsein - Wollen (im Sinne der normalen Ordnung
des Ganzen) oder als Mehrsein - Wollen (mit abnormaler Tendenz
): nur letzterem kommt die Möglichkeit einer Abänderung zu,
sodass Unfreiheit und Freiheit des Handelns sich nicht aus-
schliessen, wenn auch der Indeterminismus mehr Recht behält. Aus
der dauernd gewordenen Bestrebung, keine Reaktion des Mehrsein-
Wollens eintreten zu lassen, welche bei besserer Ueberlegung die
Schmerzempfindung der Reue hervorrufen würde, entspringt das
Pflichtgefühl. — Mcht eben leicht, aber gewiss lohnend ist es, der
Entwicklung der hier angedeuteten Grundgedanken zu folgen, wie
sie der Verf. unter beständiger Auseinandersetzung mit anderen
philosophischen Systemen, namentlich von Spinoza, Berkeley, Kant,
Hegel und Schopenhauer durchführt. JVernekke.
Dr. Erich Meyer. Naturerkennen und ethisch - religiöses Bedürfnis.
Ein Wort an jeden Denklustigen, in erster Linie an die deutsche
1906 (88 S. gr. 8<>).
Seinen Zweck, für den Häckel'schen Monismus in weiten
Kreisen Propaganda zu machen, mag dies Büchlein wohl erreichen.
Es ist ein sehr bequemer Standpunkt, den es vertritt, und es ist
auch recht bequem zu lesen, da es die alten und neuen, oft recht
befremdlichen Fremdwörter, die in den verwandten Schriften unentbehrlich
scheinen, fast ganz zu vermeiden und die Gesetze, die
aller Entwickelung zu Grunde liegen und für unu mstösslich festgestellt
gelten, sehr einfach darzustellen weiss. Was wir Grosses,
Herrliches in unserer Seele finden, „gründet sich ganz naturgemäss
und ohne merkbaren Sprung auf allmähliche organische Entwickelung
, deren Gesetze selbstverständlich erscheinen/ Wenn wir demnach
weder in uns, noch in dem Himmel, „den der Lichtäther erfüllt
, ein ganz gewöhnliches, reelles, physikalisches Ding", Gott
finden, so kann auch die Sittenlehre nicht durch Berufung auf den
göttlichen Willen begründet werden. Eine natürliche Sittenlehre
ergibt sich aber, „wenn wir innerhalb des Möglichen das für die
Menschheitsentwickelung Wünschenswerte auswählen:* ihre Hauptprinzipien
sind gesunder, schaffensfreudiger Tatendrang und Forschungsgeist
; ein gesunder Altruismus bei gesundem, massvollem
Egoismus; Menschlichkeit, doch ohne ungesunde Schwärmerei. Aus
Abneigung gegen jede Schwärmerei befleissigt sich denn der Verf.
möglichster Nüchternheit; recht erfreulich bekundet sich seine
Mässigung durch das Vermeiden geringschätziger Aeusserungen
über Andersdenkende. Wemekke.
Kausalität und Weltanschauung. Eine Beantwortung erkenntnistheoretischer
und psychologischer Fragen im Anschluss an die Programmabhandlung
: „Ueber die TJnzul§ssigkeit der gegenwärtigen Theorie
der Materie*, von Oberlehrer Dr. Heinrich Rudolph. Ooblenz 1905.
Selbstverlag des Verfassers. 56 S. 8°. Preis M. 1,50.
Der Verfasser verwirft die Annahme einer psychischen Kausalität
. Den absoluten Raum, die absolute Zeit und die absolute
Existenz von Substanz sieht er als transszendentale objektive Wahrheiten
an, welche unserem Denken zugänglich geworden sind und
so als die primären Wahrheiten alles Denkens bei jeder Betätigung
des Denkens, bewusst oder unbewusst, als subjektive Formen darin
stecken. Hiernach hätte also Logik für sich keine Berechtigung.
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