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452 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 8. Heft (August 1906.)
Zeugen, wie der Geistliehe, die Diakonen, die Mitglieder
des Chors und der Kirche alle von der Wirklichkeit der
Erscheinung überzeugt sind, die wir damals alle für die
wirkliche Frau A. ansahen.
Im September 1895, als Frau A. auf Besuch bei ihrer
Mutter, Frau C, in der Nähe von Z. war, fragte ich sie,
ob sie nicht einmal an einem Sonntag die Kongregisten-
kirche besuchen wollte, wohin ich regelmässig gehe. Frau
A., die sehr skeptisch ist, hatte ihrer Verwunderung darüber
Ausdruck gegeben, dass ich am Sonntag zweimal in die
Kirche gehe, was mich veranlasste, sie zu bitten, selbst ein-
mal zu kommen und zu sehen, ob das Zeitverschwendung
sei. An einem Sonntag Morgen im September 1895 kam
Frau A. in die Kirche, in ein blaues Cape und ein eng anschliessendes
Häubchen gekleidet. Sie hatte ein etwas alltägliches
Aussehen und das Originelle ihrer Kleidung zog
die Aufmerksamkeit an. Sie kam geraume Zeit, ehe der
Gottesdienst begann und setzte sich auf eine Bank in der
Nähe des Kommuniontisches in der Nähe des Chors im
nördlichen Flügel der Kirche gegenüber dem Predigerstuhl.
Zwei von den Diakonen sprachen mit ihr; der Geistliche
bemerkte sie und sowohl die Leute auf dem Chor, als die
in ihrer Nähe Sitzenden fragten sich, wer wohl die Fremde
sei, deren auffallendes Aeussere Gegenstand der allgemeinen
Aufmerksamkeit war.
Kurz darauf wurde Frau A. krank. Sie bekam unerwartet
Ohnmächten, die sie manchmal auf der Strasse,
auf der Eisenbahn oder im Omnibus überfielen. Ihr Unwohlsein
beunruhigte ihre Freundinnen und man riet ihr
ernstlich, ihr Haus nie allein zu verlassen. Ich besuchte sie
am 7. oder 8. Oktober. Sie schien schlimm daran zu sein,
allein sie erzählte mir, sie sei am vorigen Sonntag von
einem fast unbezwingbaren Drang ergriffen gewesen — warum
und wie, wusste sie nicht —, dem Gottesdienst und
unserer Kirche anzuwohnen. „Versprechen Sie mir," sagte
ich, „das Sie etwas so Törichtes nicht ausführen. Sie sind
ja kaum im stände, die Schwelle zu überschreiten und wenn
Sie diesen Weg machten, so würden Sie wahrscheinlich in
der Kirche in Ohnmacht fallen." ..0, ich wäre wirklich
nicht hingegangen/4 antwortete sie, ,,,allein das Verlangen
war sehr stark. Ich verspreche Ihnen jedoch, dass ich,
wenn dieses Verlangen sich wiederholen sollte, nicht hingehen
werde."
Am Ende der Woche vernahm ich, dass sie Besuche in
Oxfordstreet hatte machen wollen, dabei aber so unpässlich
geworden war, dass sie kaum nach Hause hatte kommen
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