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v. Schnellen: Im Ringen um die Religion der Zukunft. 485
Im Ringen um die Religion der Zukunft.
Von W. von Schnellen, Freiburg i. B.
Ein lebhaftes Bedürfnis nach religiöser Vertiefung und
Erneuerung geht unverkennbar durch die Gegenwart. Vorüber
ist — hoffentlich auf Nimmerwiederkehr! — die Zeit,
wo eine mechanistische Naturwissenschaft sich, fast ohne
Widerspruch zu begegnen, als Alleinherrscherin im Gebiet
des modernen Geisteslebens aufspielen konnte; vorüber die
Zeit, wd ein grosser, wenn nicht gar der überwiegende Teil
der „Gebildeten" mit ß. Fr. Strauss in der glatten Nützlichkeitslehre
des Darwinismus einen ausreichenden Ersatz
für die Religion zu finden wähnte und der Prophet von
Jena, E. Ilaeckel, seinen Zuhörern allen Ernstes „die Summe
der Atomkräfte" unter dem erschlichenen Namen der
„alleinen Substanz" als „den Geist des Guten, Schönen und
Wahren" zur gläubigen Verehrung auftischen konnte. Das
Gemüt und nicht minder die Vernunft lehnte sich auf gegen
diese dürftigen Gemeinplätze einer seichten materialistischen
„Aufklärung": die Vernunft, weil nur jenseits dieser
sinnlichen Erscheinungswelt in dem wesenhaften Grunde
aller Dinge die Erkenntnis zu ihrem Abschluss kommen,
die Lösung aller Welträtsel und das einheitliche Band aller
Einzelwissenschaften gesucht werden kann, — und das
Gemüt, weil allein hier, in derselben Region des Ueber-
sinnlichen und Ewigen, der Mensch allen Zweifel und
Kummer, alle Sorge und Angst von sich abschütteln, allein
hier, in dem gemeinsamen Grunde seiner selbst und der
Welt, den Gegensatz zu dieser überwinden und das Bewusst-
sein seiner Freiheit gewinnen kann.
Aber noch fehlt es an der richtigen Verbindung beider
Seiten, fehlt an einer wirklichen Versöhnung des
Glaubens mit dem Wissen, der berechtigten Ansprüche
des Gemütes mit den ebenso berechtigten Ansprüchen
der Vernunft. Ja, es fehlt sogar vielfach in
Laienkreisen schon an dem richtigen Verständnis für das
wahre Wesen und die innere Eigenart der
Religion, die nur allzu oft unter Ausschliessung alles
Denkens allein im Gefühl oder gar nur im sittlichen
Handeln gesucht wird. Und die Theologen, die es besser
wissen sollten, tun nur selten etwas, um dieser Verwirrung
der Begriffe ein Ende zu machen. Ja, statt aus den Widersprüchen
der bisherigen religiösen Metaphysik die Folgerung
zu ziehen, dass diese falsch sein und möglichst bald durch
eine richtige ersetzt werden müsse, bemüht man sich hier
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