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490 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 8 Heft. (August 1906.)
hältuis zu Gott. Beides aber ist, wie man leicht sieht, nur
dann zu vereinen, wenn ich Gott in meinem eigenen Innern
finde als den wesenhaften Grund meiner Seele. Denn nur
dann ist die Einkehr des Menschen in sich selbst zugleich
eine Einkehr in Gott. Ist dieser dagegen etwas ausserhalb
meiner selbst, ist ei ein persönliches Wesen neben mir, so
muss ich ja aus mir heraustreten, um mich in ihn zu versenken
und die Religion wird zur äusserlichsten Sache von
der Welt. Das mag ja allenfalls denen richtig erscheinen,
die das Prommsein ohnehin nur in ein äusseres Fürwahrhalten
überkommener Begriffe oder gar bloss in gewisse
gottesdienstliche Handlungen setzen; wer aber einmal erkannt
hat, dass der religiöse Glaube etwas ganz und gar
persönliches ist, eine innere, lebendige Beziehung des Einzelnen
zu Gott, der sollte sich auch klar machen, dass die
unentbehrliche Voraussetzung dazu eben auch die innere
wesenhafte Einheit von Gott und Mensch ist.
Und ist nicht allein auf diesem Standpunkt auch eine wirkliche
Versöhnung des religiösen mit dem sittlichen
Bewusstsein möglich, allein bei ihm der
Sittlichkeit ohne Widerspruch und ohne Preisgabe ihres
eigentlichen Wesens eine feste, dauernde Begründung im
GottesgJauben zu verschaffen? Man bedenke doch: wahre
Sittlichkeit ist Freiheit, ist vernünftige Selbstbestimmung
des Menschen allein aus seinem eigenen Wesen. Sie
ist nur da vorhanden, wo die Entscheidung wirklich meine
eigene Entscheidung ist, wo sie ganz und gar aus meinem
Selbst, aus der inneren vernünftigen Bestimmtheit meines
Willens hervorgeht. Und doch: Sittlichkeit ist auf der
anderen Seite ohne Frage volle, unbedingte Hingabe des
ganzen Menschen an den Willen Gottes. Sie besteht (in
ihrem wahren, eigentlichen Sinn) nur da, wo der Einzelne
sich allgemeine, über sein beschränktes Ich hinausliegende
Zwecke setzt und diese allgemeinen Zwecke als die Zwecke
Gottes anerkennt. Wie aber ist das eine mit dem anderen
zu vereinen: das Wollen und das Sollen, die Freiheit
und die Hingabe, die innere Selbstbestimmung
des Menschen und die Uebereinstimmung seines Willens
mit dem Willen Gottes? Offenbar nur so, dass jenes
Selbst, aus dem meine Handlung als freie Tat hervorgeht,
und die Gottheit, deren Zwecke sie erfüllt, ein und dasselbe
Wesen sind. Sind dagegen Gott und Mensch zwei verschiedene
Wesen, so sind die Zwecke dieses Gottes für
mich als Menschen eben fremde Zwecke und die Kundgebungen
seines Willens äussere Gebote, denen ich
mich allenfalls in kindlichem Gehorsam oder in der Hoff-
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