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Schnee: Ein Wahrtraum.
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ihrer ganzen Blosse enthüllen und wo man für Experimente
psychischer Natur das am wenigsten geeignete Laboratorium
vermuten könnte, bietet für den Forscher auf okkultem Gebiete
eine Fundgrube verwendbaren Materiales. Was dort
als „Spiel des Zufalles" kaum der Beachtung für wert gehalten
wird, was die Presse einfach negiert, oder — noch
schlimmer — glossiert, ist merkwürdigerweise häufig gerade
dasjenige, was sich bei gründlicher Untersuchung als interessantes
Phänomen darstellt. — So gelangte anlässlich der
im Dezember vorigen Jahres in Bautzen stattgefundenen
Schwurgerichtsperiode das nachstehend geschilderte Ereignis
vor das Forum der Oeffentlichkeit, bei dem es sich
zweifellos um jene unbewusste Tätigkeit des hellsehenden
transszendenten Ich handelt, die sich im prophetischen
Wahrtraum äussert:
In der ersten Hälfte des Monats Juli 1905 träumte dem
Gastwirte 2?.,*) einem ehrbaren Bürger der Stadt Kamenz,
einer seiner treuesten Stammgäste, der Glasmachermeister
Linke, habe seine Frs,u und seine Kinder erschlagen und
darauf das ebendaselbst von ihm bewohnte Haus angezündet
* Noch am anderen Morgen stand das fürchterliche
Traumbild in grauenvoll greifbarer Deutlichkeit vor dem
inneren Gesicht des Wirtes, so dass er sich jener psychischen
Depression nicht erwehren konnte, die sensitiv veranlagte
Menschen bei ähnlichen Vorkommnissen bedrückt, gleich der
unheilschwangeren Schwüle vor einem aufsteigenden Gewitter
. Er fand erst einigermassen seine ßuhe wieder, als
er den Traum seiner Ehefrau erzählt hatte. Diese lachte
über die sonderbare Laune ihres Mannes und versuchte
ihm jeden Zweifel an der Lauterkeit des Linkischen Charakters
auszureden. Das war auch sehr begreiflich, denn
Linke, ein äusserst intelligenter, fleissiger Arbeiter, galt in
der ganzen Stadt als musterhafter Familienvater und war
in seinen Kreisen sehr beliebt. Als wie er es gewöhnlich
zu halten pflegte, nach Feierabend mit noch anderen
Arbeitskollegen in die 2?.'sche Gastwirtschaft kam, um
sich nach des Tages Last und Hitze bei einem kühlen
Trünke zu erfrischen, trat B. zu ihm und sagte: „Du Linke,
kritischen Beleuchtung unterzogen haben, nehmen wir keinen Anstand
auf den interessanten Fall nochmals zurückzukommen, nachdem
uns nun die näheren Einzelheiten, zugleich mit der vermissten
Bestätigung von seite" der nächstbeteiligten Person, durch Güte des
Herrn Einsenders zugegangen sind. — Red.
*) Der volle Name dieses Inhabers eines renommierten Kamenzer
Gasthauses, sowie sein die oben geschilderten Ereignisse bestätigender
Originalbrief wurden uns gütigst zur Verfügung gestellt. — Red.
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