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494 Psychische Stadien. XXXIII. Jahrg. 8. Heft. (August 1906.)
heute hat mir von dir geträumt!" Der Angeredete wurde
neugierig und wollte wissen, was es gewesen wäre. Da
mischte sich die Ehefrau des Gastwirtes in das Gespräch
der Männer und suchte ihren Mann von der Erzählung des
Traumes abzuhalten, indem sie ihm zuflüsterte, wie lächerlich
die Sache sei und dass sich L. leicht verletzt fühlen
möchte. Aber B. war einmal im Zuge und ohne sich in
seiner fiede behindern zu lassen, erging er sich L. und den
übrigen Gästen gegenüber in breiter Schilderung seines
grauenvollen Traumgesichtes. Schallendes Gelächter von
allen Seiten lohnte den Erzähler. Es war ja auch ganz
natürlich, wenn keiner der anwesenden Freunde des jovialen
l. in diesem einen feigen Mordbuben vermutete. Auch B.
selbst glaubte im Ernste von L. nichts Böses. Ihm war es
ja nur darum zu tun gewesen, den Traum zu erzählen; nun
das geschehen war, erfreute er sich wieder seines seelischen
Gleichgewichtes. —
Welches Entsetzen ergriff aber den biederen Gastwirt,
als er in den frühesten Morgenstunden des 31. August 1905,
von den Sturmglocken der im tiefen Schlummer liegenden
Stadt geweckt wurde, als er hörte, das Haus des £. stehe
in hellen Flammen und er dann mit eigenen Augen sehen
musste, wie die grässlich verstümmelten Leichen der
Linkischen Familienmitglieder aus dem brennenden Gebäude
gebracht wurden! Und nicht genug damit, L. selbst
war unter dem dringenden Verdachte, Mörder und Brandstifter
in einer Person zu sein, inhaftiert worden.
Das mysteriöse Verbrechen erregte weit über die Grenzen
Sachsens das grösste Aufsehen, Wenn auch anfangs
die Schuld Z.'s stark bezweifelt wurde, so verdichteten sich
im Laufe der Untersuchung doch die erdrückenden Indizien
zur Ueberführung des Täters. Ein offenes Geständnis über
das Verbrechen legte £. weder jetzt, noch später ab. Zu
der Verhandlung vor dem Schwurgerichte war ein umfänglicher
Apparat von Zeugen und Sachverständigen in Bewegung
gesetzt worden. Unter den ersteren figurierte auch
der Gastwirt B.f der unter seinem Eide das nächtliche
Erlebnis erzählte. Nach dreitägiger Verhandlung wurde
L. zum Tode verurteilt. Es war ihm [wenn man nicht geradezu
eine ihm unbewusst gebliebene suggestive Beeinflussung
annehmen will] zum Verhängnis geworden, dass er
das mahnende „mene tekel" im Traume des Freundes nicht
erkannt, vielmehr den dunklen Pfad des Verbrechens trotzdem
beschritten hatte. Freiwillig auf das Recht zur Ein-
. legung der Revision gegen das Urteil verzichtend, endete
er am 19. Januar 1906 unter der Guillotme.
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