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498 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 8. Heft. (Anglist 1906)
sich zu der Vermutung bekennen, dass die Ausstrahlungen
aus dem Badiuni ähnlich vor sich gehen, wie die Aussendung
des Geruchs von einer Blüte oder einem anderen
natürlichen oder künstlichen Riechstoff. Jeder, der überhaupt
auch über die täglichen Erscheinungen in seiner Umgebung
nachdenkt, wird sich schon gesagt haben, dass in
der Wahrnehmung eines Geruchs auf grössere Entfernung
von dem aussendenden Gegenstand ein seitsames Geheimnis
liegt. Auch von der Rose, die vor u*is, vielleicht in der
Entfernung von einem Meter, auf dem Tisch steht und
deren Duft wir deutlich spüren, muss eine Art von Strahlen
oder Wellen ausgehen, die aber tatsächlich noch niemals
beobachtet worden sind. Auch darin gleichen sich die
beiden Phänomene, dass weder das Radium, noch die Rose
durch die Abgabe von Strahlen an Gewicht verliert. Die
Rose ist allerdings ein vergängliches Ding, aber man
braucht ja nur einen anderen Riechstoff zu nehmen, zum
Beispiel Jodoform, und könnte mit ihm beliebig lange
Experimente anstellen. Bisher war aber noch nie der Beweis
erbracht worden, dass eine bestimmte Menge von
Jodoform durch die Abgabe des, wie jeder weiss, äusserst
durchdringenden Geruchs leichter geworden wäre. Es
bleibt doch aber die am leichtesten glaubliche Annahme,
die Radiumstrahlen, wie die Austrahlung des Geruchs entstehen
dadurch, dass winzige, für das Auge auch bei stärkster
Bewaffnung nicht wahrnehmbare Massenteilchen von
dem Körper ausgeschleudert werden. Unter dieser Voraussetzung
berechnete Becquerel schon vor Jahren wirklich,
dass ein Stück Radium durch die Strahlen in einer Million
Jahren ein Milligramm Gewicht einbüssen würde. Jetzt
hat der Altmeister der französischen Chemiker, Professor
Berihelot, in einer Mitteilung an die Pariser Akademie der
Wissenschaften auch die gegensätzlichen Untersuchungen
ausgeführt, nämlich Messungen des Gewichtsverlusts, den
Riechstoffe durch Abgabe ihres eigentümlichen Geruchs erleiden
. Er hat festgestellt, dass ein Milligramm Jodoform
in einer Stunde ein Millionstel seines Gewichts verliert. In
einem Jahre würde der Stoff dann 8760mal mehr, aber
doch nur wenig mehr als den hundertsten Teil eines Milligramms
abgeben. Es würde darnach mehr als 114 Jahre
dauern, bis ein einziges Milligramm Jodoform in „Riechstrahlen4
* aufgebraucht worden wäre. Dies Ergebnis wird
jeden in Erstaunen setzen; denn man kann es kaum fassen,
dass eine so starke Wirkung wie der geradezu stechende
Geruch des Jodoform mit einem so geringen Aufwand von
Masse sollte unterhalten werden können. Trotzdem ist das
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