http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0531
Literaturbericht.
509
Inhalt hoch über die meist nur dem Sinnenkitzel und der Unterhaltungslust
dienende Jiomanliteratur unserer Tage. Die von den
höchsten Idealen der Menschenbrust erfüllte Verfasserin, in der wir
wobl die Gattin (oder eine Tochter ?) des in okkultistischen Kreisen
längst bekannten Hamburger Zahnarztes W. vermuten dürfen, zeigt
uns in dem lärmenden Trubel des dortigen St. Pauli-Jahrmarktes ein
bildschönes, vom Elend seiner unwürdigen Umgebung tief angeekeltes
Seiltänzerkind, das sich seinen täglichen körperlichen und
seelischen Misshandiungen mit Hilfe eines lüsternen Lebemanns
durch die Flucht entzieht, sich aber in der ihm durch das Geld des
egoistischen Genussmenschen gebotenen glänzenden Freiheit noch
unglücklicher fühlt als zuvor im Sklavendienst roher Eltern, und
erst nach schweren inneren Kämpfen unter dem Einfluss echter, uneigennütziger
Liebe zum Ziele wunschloser Selbstverläugnung emporarbeitet
, indem Hanna schliesslich in treuer Pflichterfüllung als
Krankenschwester bei der Choleraepidemie ihr Glück, aber auch
den Tod findet. Das Erwachen des nöheren Selbst einer moralisch
gefesselten Seele, die im Kampfe des Lebens den Glauben an
eine göttliche Gerechtigkeit längst verloren hat, nun aber zur Erkenntnis
ihres wahren Wesens gelangt, ist ergreifend geschildert.
Wir begegnen da drei Charakteren, wahrhaft grossen Menschen aus
der Zahl „jener wenigen Auserwählten, die das Himmelreich in sich
tragen * und auch in anderen die Wonnesehnsucht nach einem
höheren Leben im Strahlenglanz der Ewigkeit erwecken. Das sind
keine Augenblicksmenschen , das sind Menschen, die eine bedeutsame
Vergangenheit hinter sich haben und die etwas gelernt haben
in der harten Schule des Lebens. Das auch durch realistisch wahre
Milieuschilderung fesselnde Buch liest sich um so angenehmer, als
nirgends eine schulmeisterlich belehrende Tendenz sich aufdrängt,
welche die belletristische Behandlung psychologischer, bezw. theo-
sophischer Probleme so häufig ästhetisch ungeniessbar macht. Der
denkende Leser erhält hier ganz von selbst den Eindruck, dass, wie
die wahre Künstlerseele den äusseren Schein hasst, so überhaupt
die freie Menschenseele sich nicht zwingen lässt, es sei denn ihre
Zeit gekommen. Am besten charakterisieren wir wohl der Verfasserin
Werk mit ihren schönen Versen: „ Wer in der Kunst das
Göttliche empfindet, des Wirken hebt sich über Baum und Zeit;
wer seine Kraft an Menschenherrschaft bindet, der steht und fällt
mit ihrer Nichtigkeit.* Fritz freimar.
B. Zeitschriftenübersicht
Zeitschrift für Spiritismus und verwandte Gebiete. Leipzig, 0. Mutze,
\o Jahrg. Nr. 19—27. — Die Betrugshypothese. — Die Katastrophen in
Italien und in Kalifornien. — Spiritistische Indianer. — Aus vergilbten
Blättern. — Und du wirst doch siegen, o Spiritismusl — Ueber Psychotherapie
. — Radium und Radioaktivität. — Ist der Tod schmerzhaft? —
Aeusserer und innerer Ei folg. - Pfingstbetrachtung. - Allgemeine Beziehungen
der transzendenten Körperarten. — Eine Teufelsaustreibung zu
Pirna vor 300 Jahren — Zur Frage: Hat Jesus je gelebt? (Ein bisher
schon bekanntes angebliches Schreiben des Statthalters Publius Lentulus),
— Der Geist des Bruders (Novelle). — Tierischer Magnetismus. — Eduard
v. Hartmann f. — Luise Hilz f. — Die Liebe und der Tod. — Ein
Fall von Telepathie. — Bomben-Anarchismus. — Der zweite deutsche
Spiritistentag in Köln. — Geheimnisvolle Kräfte in der anorganischen Welt.
— Ein Geheimnis des Todes. — Entdeckung eines Leichnams nach einer
mediumistischen Mitteilung. — Aus der Tagespresse.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0531