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520 Psychische Studien XXXIII. Jahrg 9. Heft (September 1906.)
Umständen, sondern es weiss neue Formen anzunehmen, die
die Eigenschaft haben, von den veränderten Umständen den
meisten Vorteil zur eigenen Entwickelung zu ziehen.
Einige Zellengruppen setzten sich auf der Erdkruste
fest und fanden die Baustoffe zu weiterem Wachstum.
Andere hatten eine weniger ruhige Art; sie wollten etwas
von der Welt sehen und hatten für einen vegetativen Pro-
zess keine Geduld.
So wurde das Protoplasma der Gründer von zwei
Reichen, von einem der Ruhe und von einem der Bewegung.
In beiden Reichen keimte das Leben in immer mehr komplizierten
Formen; allein während das Reich der Ruhe sich
so zu sagen tastend zu einem reichen Pflanzenwuchs überall
da ausbreitete, wo Boden und Klima sich für den chemischen
Prozess der Vegetation günstig zeigten, machten
sich im Reiche der Bewegung ganz andere Faktoren geltend
. Von einer ruhigen Entwickelung konnte da keine
Rede sein. Vom Boden losgelöst, musten die Zellengruppen
bald da, bald dort für ihren Unterhalt sorgen. Der Kampf
ums Dasein wurde dadurch viel schärfer und die Anstrengung
, in diesem Kampfe zu siegen, zwang die Zellen-
gruppen, sich jedesmal mit ihrer Umgebung in Kontakt zu
stellen, wodurch sich besondere Organe bildeten.
In einer Reihe von Millionen von Jahren haben die
Zellengruppen auf dem Wege beharrlicher Entwickelung
sich in immer grösserer Vollkommenheit zusammengefügt.
Die Pflanzen und Tiere haben sich zuerst in fast formlosen
Gestalten geleeartig entwickelt, später strahlenförmig oder
krystallisch konstruiert, als machten sie bei ihrem Aufbau
von den molekularen Kräften Gebrauch, die in der leblosen
Materie schlummern; endlich machten sie sich von jeder
geometrischen Konstruktion ganz los und passten sich den
veränderten Verhältnissen in einem niemals endigenden
Kampf ums Dasein an, um im Menschen die höchste organische
Entwickelung zu erreichen.
Die Einrichtung des tierischen Organismus wird auf
dem Wege der Evolution nach und nach verändert. Die
Leben8ökoiiomie brachte die niederen Tiere schon bald dazu
, einzelne Zellen mit bestimmten Funktionen zu belasten,
um sich die Wahrnehmung der Umgebung leichter zu
machen. Es bildeten sich Nervenzentren, die schliesslich
nicht bloss auf direkte Berührungen reagierten, sondern
selbst für Luft- und Aetherschwiogungen empfindlich wurden
. Die fünf Sinnesorgane entwickelten sich als wahre
Kriegswerkzeuge. Durch sie wurde die rasche Wahrnehmung
möglich, durch welche im Kampf gegen physische
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