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562 Psychische StudieD. XXXIII. Jahrg. 9. Heft. (September 1906.)
Und ich verliere noch eine halbe Stunde (denn in dem
gleitenden Sande braucht man viel Zeit, um vorwärtszukommen
) mit dem Rückweg auf meiner frischen Spur, und
als ich an jene zweite Stelle zurückkomme, liegt dort stillvergnügt
dasselbe — aber haargenau dasselbe Gerippe und
grinst mich ebenso vertraulich mit seinem tadellosen Ge-
biss an, wie eine halbe Stunde vorher zwei Kilometer östlich.
Und obgleich meine Seele prosaisch und gemein ist
(unser Kassier wird dies mit Freuden bezeugen), packte
mich doch ein ganz eigentümliches Getühl in der Gurgel,
und eine knochige Hand schnürte mir die Kehle zusammen,
so dass ich ziemlich rasch den Schauplatz verliess und
mit gespanntem Drillig eine Stunde weit nach Hause lief
in die elende Strohhütte, aus der ich Ihnen eben beim
Schein von zwei Wagenkerzen schreibe.
Um aber allen Humor beiseite zu lassen und ernst
über ein nicht erklärbares Vorkommnis zu sprechen, so
möchte ich wirklich die Meinung der Spiritisten über dieses
Abenteuer hören. Vor zwei Jahren berichtete ich in der
„Täglichen Rundschauu aus Venezuela über eine ähnliche
Erscheinung und erhielt dann eine Hochflut von Zuschriften
aus Spiritistenkreisen — nebenbei gesagt das grösste Blech,
das seit siebzig mit einer Stahlfeder verbrochen wurde!...
Dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, von
den etc., das weiss jeder, der nur einmal in Indien gereist
und einen besseren Fakir seine Mätzchen produzieren gesehen
hat. Aber meine Erlebnisse sind nicht die Sensationshascherei
eines lüsternen Reporters, sondern in vollen acht
Jahren ist mir heute erst zum dritten Male etwas Ueber-
sinnliches aufgestossen. Eine Erklärung kann ich nicht
finden. Ich bin weder mondsüchtig, noch hatte ich mir zu
viel hinter die Binde gegossen; auch bin ich kein Phantast
und Träumer, sondern ein harmlos vergnügtes Huhn und
ausserdem viel zu viel durch meine Jagden, Schreibereien
und Photographien in Anspruch genommen, als dass ich
mir jemals den Kopf über Dinge zerbrechen würde, von
denen weder ich, noch meiner Meinung nach irgend jemand
etwas versteht.
Ich begnüge mich mit der Tatsache.
Morgen bei Tagesgrauen werde ich mit einem guten
Schrotsack hinausziehen auf die Südbänke des Brahmaputra
und mir den Schädel vom Gerippe fein sorglich ablösen
und einpacken. Und wenn er dann morgen nachts wieder
spazieren gehen sollte, werde ich ihm den Hirnkasten einschlagen
und auf meine Kosten begraben lassen. — Punkt
zwölf. Ich gehe schnarchen!
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