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568 Psychische Studien. XXXIIL Jahrg. 9. Heft (September 1906.)
in früher Abendstunde auf dem Heimweg nach seiner
Pfarrei spurlos verschwunden ist, hat Paris seit langer Zeit
nicht gehabt. Zu dem Geheimnisse des Verschwindens
selbst ist nämlich ein anderes, noch aufregenderes gekommen
, ein Schauer des überirdischen Mysteriums. Ganz
unvermutet hat ein indischer Fakir, der sich „Professor
Devah" nennt und seit einiger Zeit in Paris in einer mit
raffiniertem Luxus ausgestatteten Wohnung als Medium
und Zukunftsverkünder ein äusserst zahlreiches, gläubiges
Publikum empfängt, das Wunderdinge von ihm erzählt, sich
als Helfer der Polizei und Eeporter angeboten und in der
Tat ein auch die Skeptischesten überraschendes Resultat
erzielt. Während die zahllosen Nachforschungen in den
Gegenden, die der verschwundene Pfarrer passiert haben
könnte oder müsste, bis auf das Auffinden seines Hutes an
einer Hecke auf der Landstrasse ergebnislos verlaufen
waren, erzielte der indische Hellseher sofort einen verblüffenden
Erfolg: In Begleitung eines Reporters des „Jour-
nal<fc fand er nämlich am ersten Tage seines Eingreifens
das Fahrrad des Abbe Delarue in einem abgelegenen
Busche, neben einem verwesenden toten Hammel. Und am
folgenden spürte er ein grosses Messer unweit dieser Stelle
auf, das deutlich frische Menschen blutspuren trug. Diesen
Tatsachen gegenüber bleibt man vorerst mit Argumenten
wehrlos, und man muss, ob man wolle oder nicht, dieVer-
Sicherung des mysteriösen Fremdlings, er werde den Leichnam
bald entdecken, ohne Spott hinnehmen. Man hatte erst die
Unterstellung gewagt, es handle sich um einen Reporterkniff
, aber es soll nunmehr bis zur Evidenz erwiesen sein,
dass das Fahrrad wirklich das des verschwundenen jungen
Priesters ist. — Zu der Umgebung des Zauberers gehört
auch ein anderer Indier mit seiner Frau, einer Französin,
die im vorigen Jahre bereits eine Katastrophe im Genre
von Oourriöres vorausgesagt und in all ihren Einzelheiten
beschrieben hatte. Diese hat nun einem Reporter folgende
sehr interessante Mitteilungen gemacht: „Devah" oder vielmehr
„Diaz" ist ein glühender Anhänger der „Physio-
nomanie" f? scheint eine neue „Metawissensehaft" zu sein!
— Red.] und des Okkultismus. Er und mein Gatte besitzen
im gleichen Grade die Geheimwissenschaft des Fakirs.
Uebrigens ist Diaz weder Bramane, noch Buddhist, sondern
Katholik. Und nun zu dem Verbrechen, denn zweifellos
ist der Abbe Delarue ermordet worden. Nach meinen
Karten ist der Mörder kein Landstreicher, sondern gehört
der besseren Gesellschaft an. Es handelt sich um keinen
Raubmord, sondern um eine Rache. Der Leichnam wird
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