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608 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1906.)
ausgehenden Unrechtlichkeiten widersetzte. Ebenso ist
neuerdings im Mai 1906 unter Olcotfs Vorsitz ein hervorragendes
Mitglied aus der Gesellschaft ausgeschieden, weil
es zur Erzeugung künstlichen „ Hellsehens" unsaubere
Mittel anwendete und empfahl, wodurch überdies ernstliche
Schädigung der Praktikanten verursacht wurde.
Hierzu sei bemerkt, dass von jeher die massgebenden
Kräfte der Gesellschaft es widerraten haben, innere Be-
wusstseins - Zustände anders, als normaler Weise auf ethischer
und mentaler Grundlage, ausbilden zu wollen. Es ist
groberünfug, Menschen künstlich „hellsehend1* machen
zu wollen, insbesondere wenn ihnen die sittliche Reife und
Selbstlosigkeit und die geistige Selbstständigkeit und Urteilsfähigkeit
fehlt. Solche .«Schüler" können nicht einmal
beurteilen, was sie mit ihren fünf Sinnen wahrnehmen, wie
viel weniger das, was sie „hellsehen" würden. Da sie
meistens leidenschaftliche Gemüter sind — sei es, dass sie
selbstisch und fanatisch oder ärgerlich und zornig oder rachsüchtig
und schadenfroh, vielleicht auch etwa missgünstig und
eifersüchtig sind —, bereiten sie bei einer Steigerung ihrer
emotionalen (sogenannten „astralen") Kräfte noch mehr
Schaden, als sie ohnehin im alltäglichen Leben anrichten.
Sie möchten „hellsehend4* sein, nicht ausschliesslich, um damit
anderen zu helfen, sondern um sich selbst zu fördern,
um noch mehr als sonst zu sehen, zu geniessen und zu
„können". Man vergegenwärtige sich beispielsweise auch,
wer höher entwickelt war, der Prophet Bileam oder seine
Eselin, die (nach 4. Mose XXII, 23—31) selbst „astral"
den „Engel" sah! —
Die Entwickelung solches „Hellsehens" ist eine krankhafte
Entwickelungs - Störung. Sie vermag den Geistesfortschritt
in der Menschheit allerdings zu fördern, wenn
auch nicht den Fortschritt der „Hellsehenden" selbst. Indirekt
könnte nämlich die Vergeistigung unserer Kultur begünstigt
werden, wenn dadurch im Laufe der Jahrhunderte
der Wissenschaft objektiv -mentale Beobachtungs-Mittel
zur Verfügung gestellt würden, Mittel, die eine direkte o b -
j e k t i v e Erkenntnis auch der inneren Geisteswelt ermöglichen
. Das könnte unsere geistige Kultur wohl fördern,
spiritualisieren; dennoch bleibt die schädigende künstliche
Herstellung solcher Mittel (Medien) „grober
Unfug". Die Gesellschaft stellt sich nicht als Kichter
über die Persönlichkeiten ihrer Mitglieder auf, doch sie
duldet keinen Unfug, für den sie und ihre hohen
Strebensziele irgendwie verantwortlich gemacht werden
könnten. —
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