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Hoffmann: Zur Kritik metapsyohißcher Schlussfolgerungen» 613
Verstandes man wohl oder übel einen Kompromiss mit den
individuellen Anschauungsformen schliessen muss; nur sollte
man sich in solchem Falle sagen, dass sie infolge ihrer Abhängigkeit
vom individuellen Charakter bloss subjektiv-
individuelle Wahrheit vermitteln, niemals wirkliche Sicherheit
bieten und niemals allgemeine Geltung haben können.
Im Grunde ist übrigens der Unterschied zwischen dem
reinen Verstand und den sonstigen Anschauungsformen
nicht so sehr qualitativer Art, da sie alle nur subjektive
Resultate liefern, als vielmehr infolge ihres verschiedenen
Geltungsumfanges quantitativer Art. Immerhin ist nach
diesen Erörterungen Wissen doch besser und gesuchter als
Glauben, auch für solche, die in dogmatischem Sinne
glauben; diese resignieren eben*) Die Frage, ob das allgemein
-Gültige dem bloss Individuell-Gültigen vorzuziehen
sei, entscheidet sich von selbst.
Wir werden hiernach, um zu prüfen, ob die Resultate
allgemein gültig sind, nicht zu fragen haben, ob die Hypothesen
und Dogmen möglich sind: — wir können zudem
gar nicht unterscheiden, was nicht möglich ist, — sondern
ob dieselben bei der Konstruktion unseres Gehirns notwendig
sind* Derartige Hypothesen wissenschaftlicher Art
haben gegenüber Glaubensdogmen auch den Vorzug, dass
man sich ihres vorläufigen und eventuell unrichtigen Gehalts
bewusst ist, dass man sie daher ausschalten kann, sobald
richtigeres gefunden worden ist, dass endlich von ihrem
Wegfall nicht die Grundlage, auf der sie aufgebaut sind,
betroffen wird. Aus diesen Ursachen gewinnen sie allerdings
auch kein Leben in uns, keine Willensmomente, und
gewähren so keine innere Befriedigung, wie eben die Dogmen
es tun, diese subjektiv-individuellen Grundsätze, welche allgemein
anerkannt werden und als endgiltig richtig gelten
wollen.
Erlauben Sie mir nun, ehe ich an die Behandlung des
eigentlichen Themas gehe, ein paar Vorbemerkungen, die
für das richtige Verständnis meines Vortrages bei der Unsicherheit
der Ausdrucksweise erforderlich sind. Ich werde
im weiteren Verlaufe die Wörter ,transszendentaP und
.metaphysisch' getrennt gebrauchen (ich weiss wohl, dass
dies sonst nicht immer der Fall ist, jedoch empfiehlt es
sich, für zwei verschiedene Begriffe der Deutlichkeit wegen
*) Aura,: Solches gilt auch für die modernen Theosophen, die
bezeichnenderweise niemals behaupten, auf Grund ihrer mystischen,
intuitiven Erkenntnis objektive oder doch allgemein gültige Wahrheit
gefunden zu haben, sondern nur subjektiv-individuelle, die
jeder von sich aus von neuem erfahren muss.
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