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622 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 10. Heft (Okiober 1906.)
festationen der „übersinnlichen Welt" Apporte und
j&eistererscheinungen auftreten. Bei den ersteren
Taschenspieler-Stücke auszuschliessen, dürfte nicht so leicht
sein. Jeder hat schon Zauberkünstler gesehen, die an
Apporten viel Erstaunlicheres leisteten, und unter viel ungünstigeren
Bedingungen als die Medien. Das Kunststück
zum Beispiel, das gewiss manche schon gesehen haben,
dass dicht vor unseren Augen der Künstler unter einem
Damentaschentuche, das er sich über die Handfläche
breitete, eine mit Wasser und lebenden Goldfischen gefüllte
Glasschale erscheinen Hess, oder, dass er aus einem
leeren Sacke zwei Enten herausholt und dann beide auseinander
reisst, so dass er zuletzt vier in der Hand hat, ist
sicher den meisten ebenso begreiflich oder unbegreiflich, wie
das Fliegen von Blumen, Zitronen oder Schreibheftchen in
einem halb verdunkelten Zimmer, in dem fast sämtliche
Personen nur mit dem Oberkörper über dem Tische sichtbar
sind. Aus denselben, schon auseinandergesetzten Gründen
ist es auch bei Medien, die den Apporten aus der
Geisterwelt mit dem eigenen Handgelenke zu Hilfe kommen,
nicht immer notwendig, dass sie das in betrügerischer Absicht
tun: der Nachtwandler auf dem Bachfirst zeigt, dass
unter anderem ein hoher Grad von Geschicklichkeit und
komplizierte Muskelleistungen mit einem halbbewussten
Seelenzustande vereinbar sind.
Bei den Geistererscheinungen, ßei'nkarna-
tionen (! — fted.),Yisualisationen und ähnlichem spielen sicher
Täuschungen und Mystifikationen häufiger, als man denkt, eine
Bolle. Aber auch, wo das nicht der Fall ist, ist die Versicherung
von Augenzeugen, bei vollem Bewusstsein diese
oder jene weisse Figur oder blasse Hand plötzlich erscheinen
gesehen zu haben, noch kein Beweis für ihre
Realität. Professor Bernheim in Nancy, der sich um die
Erforschung der Hypnose grosse Verdienste erworben hat,
hat wiederholt folgendes gemacht: er suggerierte einer in
Schlaf versetzten Kranken einen Blumenstrauss auf die
Bettdecke, unterhielt sich mit ihr eingehend über diesen und
zog dann plötzlich in geschickter Weise die vollständig
wache Patientin des Nachbarbettes ins Gespräch, die nach
mehrmaliger, energisch wiederholter Behauptung den Blumenstrauss
ebenfalls sah; nach kurzer Zeit geschah dasselbe
mit der Nachbarin zur anderen Seite, und nachdem drei
den fiktiven Gegenstand in ihre Vorstellung aufgenommen
hatten, folgten eine Anzahl anderer mit um so grösserer
Bereitwilligkeit; in kurzem war dem halben Krankensaale
die Halluzination des Blumenstrausses suggeriert worden.
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