http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0658
636 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 10. Heft (Oktober 1906.)
c) Eine polizeilich beglaubigte Gespenstergeschichte
. Aus Anlass der Bemühungen indischer
Pakire, das Dunkel, das über dem Verschwinden des Abbe
Delarue (s. K. Not. h) 8 567 ff.) liegt, zu lichten, erzählt der
„Gaulois" eine höchst merkwürdige Geschichte von einem
„Gespenst als Polizisten", die ungefähr vor hundert Jahren
spielte und in der der berühmte Komponist ftlehul die
Hauptrolle spielt. M. hatte einen Freund, einen reichen
jungen Kaufmann mit Namen Bouverat, der im Jahre 171)7
eine Reise nach Deutschland unternahm. Am Reiseziel
langte er nicht an, und die angestellten Nachforschungen
führten zu der Annahme, dass er im Walde ermordet worden
war; der Komponist, dem das Schicksal seines Freundes
sehr zu Herzen ging, verfiel in eine schwere Krankheit, die
seinen Körper zerrüttete. Zehn Jahre waren seit dem
Morde vergangen, da sah er in einer schlaflosen Nacht ein
Gespenst mit einer furchtbaren Wunde aut der Brust an
seinem Bette aus dem Boden herauswachsen, das die Augen
auf ihn richtete und ihm zurief: „Rache! Rache!" Die
Hausbewohner, die auf das Geschrei ßlehufs herbeieilten,
fanden ihn bewusstlos auf der Erde hingestreckt. Die Erscheinung
wiederholte sich. Einmal richtete das Gespenst
seine Augen zum Fenster und M. erblickte dort die Silhouette
eines kleinen missgestalteten Mannes, der sich in den
Falten der mondbeschienenen Vorhänge zu verbergen suchte.
Am folgenden Morgen bemerkte M., dass in der Nacht bei
ihm eingebrochen war und mehrere Wertgegenstände geraubt
waren. M. wurde von neuem krank. Als er nach
seiner Genesung einmal an einem Volksfeste auf den
Champs - Elysßes sich in der Menge verlor, fühlte er plötzlich
eine Hand in seine Tasche gleiten. Er packte sie, und
wie er sich umwendet, sieht er zu seinem Schrecken den
kleinen missgestalteten Mann, den ihm das Gespenst gezeigt
hatte. Er war so überrascht, dass er laut „Zu Hilfe!
Mörder!" schrie. Auf sein Geschrei eilten Polizisten herbei
, und man brachte den Mann auf die Wachstube. Der
Polizeipräfekt Dubois, an den sich M. wandte, lachte ihn zunächst
aus. Dann aber, als sich M. nicht beruhigen wollte,
Hess er Nachforschungen über die Vergangenheit des Diebes
anstellen. Diese hatten ein überraschendes Resultat. Der
Dieb gestand, mit einem Komplizen im Walde von ßondy
vor zehn Jahren den jungen Kaufmann ermordet und beraubt
zu haben. (Münchener „Allgem. Ztg." Nr, 399 vom
30. Aug. er.)
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0658