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Knorr-Schmidt: Mediales Sehreiben und Sprechen. 657
scheinung findet man sehr oft in spiritistischen Kreisen und
mehr als eine Sekte ist so entstanden, Sprech- und Schreibmedien
predigen zunächst im engen Zirkel, und je nach der
Gewalt, die sie treibt, bleibt es so; oder sie treten mit der
meist plötzlich entstandenen Glaubensüberzeugung an die
Oeffentlichkeit. Der Kern ist derselbe. Gott hat sich ihnen
als unleugbar bestehend erwiesen, und seine unfassbare
Wesenheit nach Möglichkeit fassbar zu machen, läuternd
und beglückend für die Menschheit, ist das edle Prinzip,
das sie verfolgen. Merkwürdig bleibt nur, dass genau wie
in den verschiedenen staatlichen Glaubensbekenntnissen,
auch hier die Form die verschiedenartigste ist und —
jeder den alleinseligmachenden Glauben
zu besitzen meint Das führt dann auch hier zu
Spaltungen und Uneinigkeiten und das geteilte Lager, genau
wie im Lager der gesetzlich anerkannten Religionen,
lässt keine Einigung zu. Yon dieser Seite der Sache
komme ich auf die aufgeworfene Frage zurück: Woher
kommt der Drang, plötzlich Gott verkündend und reformierend
gerade in Giaubenssachen aufzutreten? Ich beleuchtete
die dazu wohl in jeder Menschenseele vorhandene
Glaubens-Anlage, gesät und gepflegt durch die Erziehung,
blühend und Früchte bringend, oder brach liegend, je nach
den einwirkenden Verhältnissen. Dazu kommt, dass der
Mensch meist dann nur Gott sucht, wenn es mit starkem
Finger an seine verschlossene Innentüre klopft, und das
harte Schicksal als alleinigen Rettungshafen Gott zeigt.
So kamen wohl auch die meisten von mir in Betracht gezogenen
Glaubensapostel erst dann in Berührung mit
Okkultismus und Spiritismus, auf diese Weise Trost und
Verbindung im Jenseits suchend. Die Seele war also in
Aufruhr, der Aufruhr suchte nach Betätigung, diese Betätigung
aber — das ist nun auch feststehend —
brauchte keineswegs im Bedürfnis nach
Glaubensreform und Gottespredigttum auszulaufen
, könnte auch still in die Seelenufer
zurückebben. Sprech- und Schreibmedien müssen
aber schon sehr starken Willens sein, wenn der letztere Fall
eintritt. Ich selbst hatte eine Epoche, wo ich religiöser
Schwärmerei, ja fanatischer Gottesanpreisung mit einer
Macht unterlag, dass ich nur schwer ins normale Geleise
göttlicher Erkenntnis zurückkehrte. Dieser Umstand ist
um so bemerkenswerter, als ich nach meiner ganzen Erziehung
und Veranlagung keinesfalls zu religiösem Ueber-
schwang hinneige. Ja, analog dem Vorhergesagten, hatte
auch ich erst infolge ganz schrecklicher Schicksalsschläge
Peycb'iche Stadien. November 1906. 43
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