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658 Psychische Studien. XXXIII. Jahrg. 11. Heft. (November 1906.)
spiritistischen Verkehr gesucht und war damals nahezu
Atheistin. So war es mir schwer möglich, meinen ersten
automatisch geschriebenen Satz, dazu in merkwürdiger
Schiingenschrift geschrieben, auf meine eigene Psyche zurückzuführen
, da derselbe lautete: „Hunderttausend Geister
stehen unter einem einzigen, grossen Grotte, Amen!" Wohl
war diese Bejahung auf meine inneren Zweifel mein vielleicht
unbewusst gehegter Wunsch nach Gottesanlehnung,
aber nie vorher hatte ich diese sonderbare Schrift gesehen,
welche aus lauter Schlingen bestand, der Stil war nicht der
meine, und wozu im Anfange mein Arm stets bis zum
Schmerzgefühl beim Schreiben durchrüttelt wurde, das ist
mir, als von mir selbst kommend, unverständlich. Ich
hätte mir all das Geschriebene ruhig in Gedanken sagen
können, ohne die Mühe des Schreibens, sozusagen mit Hilfe
eines elektrischen Stromes.
Auch ist es ein sehr bemerkenswerter bisheriger Nonsens
für wissenschaftliche Forschung, dass diese Auslösung,
wie ich den geschilderten Vorgang bezeichnen möchte, von
meiner medialen Fähigkeit, wie wohl bei den meisten Medien
nicht von selbst eintrat, sondern erst nach
verschiedenen Sitzungen, und, nachdem ich, angeduldig geworden
, keinen Erfolg mehr erwartete, so dass Autosuggestion
also auch wegfällt. Ferner bleibt
zu erwägen, dass, so sehr mich auch die erste Niederschrift
automatischer Art gepackt hatte, doch gleich wieder der
alte Zweifel stolz erhobenen Hauptes neben herging und
auch nicht wich, als ich von da an für mich allein zu jeder
beliebigen Zeit medial zu schreiben vermochte. Ja gerade
diese stete Möglichkeit führte ich auf meine eigene Psyche
zurück. Die unermüdliche, schier überirdische Geduld und
zarteste Liebe, mit welcher versucht wurde, mich zu Gott
zu führen, obzwar sie mich oft bis zu Tränen rührte, ver-
blasste immer wieder vor dem Gedanken, dass ein überreizter
Nervenzustand es sei, der eine unnormale Produktion
nach dieser Richtung hervorrufe. Dass die schreibende
Intelligenz sich benannte, war ja recht verwunderlich, aber,
was bringt nicht alles ein erkranktes Gehirn hervor! So
dachte ich zunächst und Hess mich von meinen Angehörigen
darauf hin beobachten und — schrieb weiter. Man fand,
dass ich mich keineswegs zu meinem Nachteil veränderte,
im Gegenteil; auch wurde ich sonst ganz normal erfunden.
Nur meine plötzliche Vielschreiberei sonderbarer Art blieb
ein ungelöstes Rätsel. Und so wie der zuerst geschriebene
Satz von Gott sprach, so geht die Gotteslehre noch heute
wie ein roter Faden durch alle meine medialen Nieder-
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