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676 Psychische Studien XXXIII Jahr*?. 11. Heft. (November 1906.)
Die Phänomene selbst reichen nicht unmittelbar in das
metaphysische Gebiet. Auch die „Metapsychik" betritt dasselbe
nur mittels der Spekulation. Jedoch wäre es an sich
denkbar, dass diese jetzt, unter Berücksichtigung der okkulten
Phänomene, einfacher und sicherer wäre, als ohne
dieselben.
Das grosse Publikum hat nämlich allerorts und zu
allen Zeiten durch die Annahme der Unsterblichkeit der
Seele, also durch Erkenntnis in der transszendentalen
Region, auch Erkenntnis in der Metaphysik, und zwar in
optimistischem Sinn, zu erlangen geglaubt.
Die metaphysischen Spekulationen sind wiederum in
abstracto zu prüfen, so dass ein Eingehen auf einzelne konkrete
Spekulationen nicht geboten erscheint; vielmehr wird
auch hier alles, was mit den auf Grund der exakten Methode
aus den okkultistischen Phänomenen gewonnenen
Schlüssen nicht in Einklang steht, keine wissenschaftliche
Berechtigung haben. Die Frage, ob sie dennoch vielleicht
möglich oder gar richtig sind, gehört nicht hierher. Wir
haben, um es nochmals zu wiederholen, bei wissenschaftlichem
Vorgehen nicht zu prüfen, ob eine Annahme möglich
, sondern ob sie notwendig ist. -
Das wesentlichste Problem der Metaphysik (nicht das
für uns persönlich wichtigste) wird die Frage nach dem Ur-
prinzip und sodann nach der substanziellen Basis der
Existenz des Alls an sich sein.
Betrachten wir zunächst das Problem bezüglich des
Urprinzips der Welt. Es fragt sich hier, ob die Welt primär
Materie, ob Kraft, ob ein über der Welt stehender
intelligenter Geist, ob ein abstrakter Gedanke oder was
sonst ist. Mit anderen Worten: dieses Problem birgt die
Entscheidung über die Existenz oder Nichtexistenz eines
Gottes. Selbstverständlich wird man mit dem Sprachgebrauch
konform gehen und unter ,Gott4 ein persönliches, bewusstes,
intelligentes Wesen verstehen müssen, oder doch mindestens
etwas Intelligentes. Eine ewige, primäre und prinzipale Ma-
terie [mit Spinoza] als ,Gott' zu bezeichnen, wäre eine willkürliche
Vergewaltigung der Sprache, indem dann ,Gott< nur noch
ein Ausdruck für den Begriff ^rprinzip' wäre. Dann wäre
z. B. der Atheismus vielfach auch Theismus, ein Glauben
an Gott. Solange nun die exakte Forschungsmethode uns
nicht die Existenz von etwas beweist, was über die Basis
derselben hinausgeht, wird man provisorisch bei derselben
bleiben müssen. Wir werden daher vorsichtigerweise (natürlich
gänzlich unbeschadet der vielleicht anders gearteten objektiven
Wahrheit) schliessen müssen, dass die Materie zeitlich
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