http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0702
680 Psyehiscbe Studien. XXXIII. Jahrg. 11. Heft. (November 1906.)
ging und die ihr noch neue Eolle durchführte. Nachher
bemerkte man aber, dass sie sich im somnambulen Zustande
befand, und Dr. Dufay musste geholt werden, um sie wieder
aufzuwecken. Solche von wissenschaftlich gebildeten Männern
ausgeführte Versuche finden eine gewisse Ergänzung in
Experimenten, die gelegentlich in Gesellschaften als anregende
oder aufregende Unterhaltung vorgenommen werden
und, wenn auch natürlich nicht unter exakten Be-
dingungen ausgeführt, doch nicht selten in üherraschen-
der Weise gelingen. Ich kenne zwei Schwestern, Damen
aus der Dresdner Gesellschaft, die sehr gut miteinander
harmonierten und manchmal ihren Gästen zur Unterhaltung
„Gedankenlesen41 vorführten. Die Form war die meist gebräuchliche
, dass der Abwesenden eine bestimmte Aufgabe
gestellt wurde, die sie, nachdem sie das Zimmer wieder betreten
hatte, erraten und ausführen sollte. Nun ist bei derartigen
Versuchen zu berücksichtigen, dass die Zahl der
verschiedenen Auftragsmöglichkeiten gar keine so grosse ist,
als es für den ersten Augenblick erscheint; die Zahl der in
einem Wohnzimmer in Betracht kommenden Gegenstände
ist beschränkt, die an jedem etwa vorzunehmenden Handlungen
ebenfalls, und die Motive, die zur Wahl der Aufgabe
führen, mögen oft unbewusst durch die Richtung des
vorher geführten Gespräches, durch den Wunsch, etwas
möglichst Fernliegendes zu finden, durch gewisse Einzelheiten
des Auftraggebers und ähnliches bedingt sein. Die
Versuchsperson wird den leisesten Ausdruck der Zustimmung
in den Gesichtern der Beteiligten, sobald sie sich dem
gedachten Gegenstande nähert, auffassen und zu verwerten
wissen. Dass dabei auch von diesen unwissentlich nachgeholfen
wird, habe ich erlebt, als ich es einmal unternahm,
selbst der Rater zu sein. Als ich ins Zimmer trat, glaubte
ich deutlich zu bemerken, wie der Blick einer der der Türe
gegenübersitzenden Damen auf die Wand hinter meinem
Bücken wies, woraus ich entnehmen zu sollen glaubte, dass
dort der gewünschte Gegenstand sich befinde; ich drehte
mich um, sah auf dem einzigen dort stehenden Tischchen
eine Bronzeschale stehen, ergrifi dieselbe — brachte sie an
den Mitteltisch — und hatte damit die Aufgabe gelöst.
Ebenso wie dieser Gegenstand zuerst und gewissermassen
zwingend meine Aufmerksamkeit fesselte, nachdem ich mich
einmal nach dieser Richtung gewandt hatte, ebenso war es
aueh den Auftraggebern gegangen, sie waren nicht ganz
frei in der Wahl gewesen; und wenn auch mein Vis-ä-vis
bestritt, mir irgend wie absichtlich einen Hinweis gegeben
zu haben, so war sie doch eben nicht in dem Masse Herrin
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1906/0702